Digitalisierte Verwaltung – 404 PAGE NOT FOUND
Wie viele andere Metropolen steht Berlin vor den Herausforderungen der Zukunft. Wachstum und struktureller Wandel verlangen nach ineinandergreifenden, komplexen Lösungsansätzen. Aus diesem Grund beschloss der Berliner Senat im April 2015 die Smart City Strategie Berlin. Mit Hilfe intelligenter Technik möchte der Senat so Lösungen für die ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Hürden Berlins finden. Teil der Strategie ist ebenso eine smarte Verwaltung, in der beispielsweise Verwaltungs-abläufe beschleunigt und vereinfacht sind und Dienstleistungen online abgerufen werden können. doch auch fünf Jahre später ist man in der Verwaltung von einer Smart City weit entfernt. Vor diesem Hintergrund bat die BERLINboxx Sabine Smentek, Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnologie in der Berliner Senatsverwaltung und Bernd Schlömer, Sprecher für Bürgerschaftliches Engagement, Digitalisierung & Verwaltungsmodernisierung der FDP zum Zwiegespräch.
Smart City Berlin
Die Berliner Verwaltung soll zu einem großen Teil digitalisiert werden, so sieht es die Smart City Strategie Berlin vor. Doch wo bewegen wir uns hier aktuell? handelt es sich dabei um die Realität oder ist es eher Wunschdenken? Wo ist der größte Handlungsbedarf?
Sabine Smentek: Die Berliner Verwaltung ist besser als ihr Ruf. Deshalb liegt die Stadt bei Benchmarks mit anderen Städten bei der Digitalisierung der Verwaltung auch relativ weit vorne. Schon heute können die Berlinerinnen und Berliner mehr als 100 unserer Dienstleistungen digital im Service-Portal Berlin abrufen. Jeden Monat kommen weitere hinzu. Von der Auto- und Gewerbeanmeldung bis zur Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz – das sind Dienstleistungen, die Sie heute schon komplett online erledigen können. Smart City bedeutet für mich neben fachlichen Themen vor allem, die Anliegen der Bürge-rinnen und Bürger und der Unternehmen in den Mittelpunkt zu stellen. Die Coronakrise hat übrigens viele Ressentiments innerhalb der Verwaltung beseitigt und die Notwendigkeit von digitalen Angeboten und mobilem Arbeiten verdeutlicht.
Bernd Schlömer: Eher Wunschdenken als Realität. Der Grad der Verwaltungsdigitalisierung ist in Berlin doch sehr überschaubar. So gibt es für die TOP100-Verwaltungsdienstleistungen kaum digitale Angebote und nachdem das Vergabeverfahren für die digitale Akte als Herzstück der Verwaltungsdigitalisierung im März gescheitert ist, bleiben wir im Backoffice der Verwaltung für die nächsten fünf Jahre in der digitalen Wüste. Da auch die Terminvergaben in den Bürgerämtern nicht verlässlich funktionieren, sind auch die direkte Vorsprachen in den Bürgerämtern ein Glücksspiel. Das liegt natürlich nicht an den Beschäftigten selbst. Aber viele Menschen in der Stadt sind frustriert. Das ist sehr schade. Der größte Handlungsbedarf liegt dabei nicht unbedingt bei Technik und digitalen Infrastrukturen. Diese können mit hinreichend Budget schnell verbessert werden. Dem Senat gelingt es nach meiner Beobachtung einfach nicht, genügend Schlagkraft und Veränderungswillen zu erzeugen, sodass alle Beschäftigte mit Ehrgeiz und Motivation den digitalen Wandel gestalten und Digitalisierung als Chance begreifen.
Digitale Verwaltung
Als Teil der Strategie wurde im Mai 2016 das E-Government-Gesetzes (egovg) verabschiedet, um Bürokratie abzubauen und die Verwaltung zu modernisieren. dennoch hat es den Anschein, dass die digitale Verwaltung in Berlin noch immer in den Kinderschuhen steckt. Warum dauert die Umsetzung so lange? Wo sind die größten Lücken?
Sabine Smentek: Aus den Kinderschuhen sind wir schon herausgewachsen – ich glaube eher, wir sind mitten in der Pubertät. Richtig ist aber, dass Berlin aufgrund der damaligen Haushaltslage früher viel zu wenig in die Informations- und Kommunikationstechnik investiert hat. Und die einzelnen Behörden waren bis zum E-Government-Gesetz allein für ihre IT verantwortlich. Ein „Dschungel“ von IT-Systemen bis hin zu selbstentwickelten Softwarelösungen waren das Ergebnis. Inzwischen geben wir Standards vor und arbeiten an der einheitlichen Administration. Eine finanzielle Herkulesaufgabe ist es aber trotzdem. Wir betreiben schließlich die Modernisierung und Standardisierung eines „Mischkonzerns“ mit über 100.000 Beschäftigten. Aufgrund der unterschiedlichen Aufgabenfelder gibt es beispielsweise über 300 IT-Fachverfahren, die alle modernisiert und weiterentwickelt werden. Digitalisierung auf Knopfdruck gibt es nicht – übrigens auch nicht in anderen Ländern oder großen Städten.
Bernd Schlömer: Es ist schon enttäuschend, dass wir nach mehr als vier Jahren E-Government-Gesetz praktisch keine nennenswerten Erfolge verzeichnen können. Das liegt auch daran, dass die IT-Staatssekretärin als zentrale CIO allein mehr als zwei Jahre gebraucht hat, um die ministerielle Steuerung aufzubauen. Hier hat Berlin extrem viel wertvolle Zeit verloren. Der schlechte Umsetzungsgrad hat aber auch strukturelle Gründe. So wird die Digitalisierung nicht aus einer Hand über-greifend vorangetrieben. Jede Senatsverwaltung köchelt weiterhin vor sich hin und der eigene Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich wird althergebracht abgegrenzt. So kann die digitale Transformation leider nicht erfolgreich betrieben werden. Wenn Sie mich nach Lücken fragen, würde ich die Frage umdrehen: Wir sehen nicht die Lücken, sondern lediglich kleine Inseln der Digitalisierung haben, die bisher kaum miteinander verknüpft und integriert sind.
Der Blick über den Tellerrand
Trotz großer Ambitionen geht die Digitalisierung in Berlin nur zögerlich voran. An diesem Punkt macht es Sinn zu schauen, was andere Städte besser machen und wo man sich etwas abschauen kann.
Sabine Smentek: Berlin hat jetzt schon viel erreicht: Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft hat uns sogar zur servicefreundlichsten von 100 deutschen Städten gekürt. Dennoch wissen wir, dass wir uns – besonders im internationalen Vergleich – noch verbessern können. Daher setzen wir auf Bündnisse, arbeiten eng mit dem Bund und anderen Ländern zusammen. Beim bundesweiten Onlinezugangsgesetz setzt Berlin zum Beispiel federführend das Projekt der digitalen Nachweise (z.B. Geburtsurkunden) um.
Bernd Schlömer: „Vertraue nur dem Ranking, das du selbst gefälscht hast”. Aus Sicht der Opposition sind schlechte Rankings natürlich gefundenes Fressen; gute Rankings hingegen werden von R2G umfassend bejubelt. Die digitalen Schwachpunkte sind natürlich nicht nur in Berlin anzutreffen – die Situation in Berlin ist vielmehr beispielhaft für ein gesamtdeutsches Problem. Aber wir können durch Offenheit und Transparenz beim Verwaltungshandeln durch Best-practise-Betrachtungen und Benchmarks viel von anderen öffentlichen Institutionen lernen. Nordrhein-Westfalen hat zum Beispiel einige Modellregionen aufgebaut, die uns gutes Beispiel für Digitalisierung sein können und auch für unsere Rahmenbedingungen skalierbar sind. Dänemark gilt als digitales Vorzeigeland, das einen sehr guten Eindruck hinterlässt. Abschauen würde ich mir vor allen Dingen den interdisziplinären Geist in der öffentlichen Verwaltung anderer Länder. Ich glaube, dass solche Teams lösungsorientierter arbeiten und bessere Ergebnisse erreichen. In Deutschland wird generell zu sehr auf Juristinnen und Juristen gesetzt, deren Problemlösungsstrategien in Form von Regulierungen nicht immer zu guten Dienstleistungsqualitäten führen.
Digitale Verwaltung ist alterslos
Fällt das Stichwort Digitalisierung, stellt sich meist als nächstes die Frage: erreicht man damit auch die breite Bevölkerung? Ziel des Berliner Senats ist es, die Verwaltung bürgernaher und transparenter zu gestalten. Bedeutet nun eine smarte Verwaltung, das ältere Menschen abgehängt werden?
Sabine Smentek: Der Wunsch nach mehr digitalen Lösungen besteht relativ unabhängig vom Alter. Es muss aber trotzdem niemand Angst haben, dass wir unsere Ämter schließen. Alle Bürgerinnen und Bürger können frei wählen, ob sie lieber persönlich erscheinen wollen, ihre Angelegenheiten per Briefpost, telefonisch oder online erledigen möchten. Wir bieten mit den Online-Angeboten einen weiteren, zeitgemäßen Zugangsweg zu unseren Dienstleistungen. Auch Zeit für das persönliche Gespräch mit den Mitarbeitenden muss und wird es weiter geben können.
Bernd Schlömer: Ich glaube nicht, dass ältere Menschen durch mehr digitale Angebote abgehängt werden. Wir dürfen diesen Menschen durchaus mehr zutrauen und auch auf sie vertrauen. Für mich ist es eher ein Scheinargument, denn es wird oftmals von Verwaltungsseite vorgetragen und nicht von den Älteren selbst. Wir müssen jetzt schnell umstellen und dürfen nicht länger warten. Der Umstieg ist dabei mit Vergünstigungen zu versehen: Gebührenfreiheit bei digitaler Inanspruchnahme oder schnellere Termine bei Online-Anfragen. Die Gruppe, die digitalen Service will, ist um ein Vielfaches größer als die der Verweigerer. Allerdings wird es auch künftig ein doppeltes Angebot geben: vor-Ort wie digital.
Der virtuelle Besuch im Bürgeramt
Nun wurde bereits viel über die sogenannte digitale Verwaltung und Dienstleistungen gesprochen, die künftig auch online erledigt werden können. Doch wie sieht dieses Zukunftsszenario konkret aus? Wie digital wird künftig ein „Besuch“ im Bürgeramt?
Sabine Smentek: Wir werden jetzt verstärkt den Digitalen Antrag umsetzen. Das heißt, dass vom Antrag, über die Bearbeitung bis zum Bescheid alles komplett digital läuft. Er ist die Grundlage für die Digitalisierung der wichtigsten Dienstleistungen des Onlinezugangsgesetzes und der Berliner Top 100. Bevor wir alle Dienstleistungen digitalisieren können, müssen leider teilweise noch Rechtsänderungen durch den Bund erfolgen. Ob wir in Zukunft online einen Personalausweis beantragen oder eine Wohnung anmelden können, kann Berlin nicht allein entscheiden.
Bernd Schlömer: Es wird flächendeckend digitalisiert. Bund, Länder und Kommunen haben sich mit dem Onlinezugangsgesetz darauf geeinigt, nahezu sämtliche Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Aber letztlich wird es auch immer ein Angebot geben, Bürgerämter und Rathäuser für Behördengänge aufzusuchen. Eine standesamtliche Trauung ist zum Beispiel ein Behörden-Highlight, das sich sicherlich nicht in virtuell durchgeführter Form durchsetzen wird. Für Berlin wünsche ich mir aber ein 13. rein virtuelles Rathaus, in dem ich alle Angelegenheiten bequem von unterwegs erledigen kann.
Videotelefonie
Durch Covid-19 ist noch immer überwiegend Homeschooling angesagt. Viele Verwaltungsangestellte arbeiten vom Home-Office aus. doch wie sieht es mit einer gemeinsamen Plattform für Videokonferenzen für Berlin aus? Woran scheitert es?
Sabine Smentek: Es gibt durchaus ein solches Angebot. Wir bieten einen standardisierten Videotelefonie-Dienst für alle Verwaltungen an. Das eingesetzte Produkt ist ein open Source Produkt und die Bereitstellung erfüllt die Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicherheit. Wir arbeiten mit sensiblen personenbezogenen Daten; da ist Datenschutz essenziell.
Bernd Schlömer: Da hat die IT-Staatssekretärin jetzt nachgebessert und eine umfangreiche Videokonferenz-Software beschafft – meines Wissens nach aber nur für einen befristeten Zeitraum. Eine dauerhafte Plattform wäre ratsam. Ich würde mir eine Lösung wünschen, die auch vertrauliche Gespräche bis zur Stufe “VS - Nur für den Dienstgebrauch” ermöglicht. Das spart Dienstreisen und macht glücklicher. (aw)
Diesen sowie weitere spannende Beiträge und Interviews finden Sie in unserer aktuellen Juli/August-Ausgabe Food Mekka Berlin: https://www.berlinboxx.de/asse...