„Der Fortschritt ist eine Schnecke“
Im Gespräch mit Maren Kern, Vorständin BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen
Ein Dauerthema in der Berlin ist der Wohnungsmangel. Neubauziele werden gesetzt und nicht erfüllt. Die BERLINboxx sprach mit Maren Kern, Vorstand des BBU über die sogenannte Wohnungsbauoffensive des Berliner Senats, den Mietendeckel und mögliche Lösungsansätze.
Frau Kern, Berlin ist eine Mieterstadt. Der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen ist groß. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für den Neubau?
Um den Wohnungsmarkt langfristig zu entspannen, müssten längst 20.000 neue Mietwohnungen pro Jahr fertiggestellt werden. Dieses Ziel wird nicht erreicht. Noch besorgniserregender ist aber, dass die Zahl der Baugenehmigungen jetzt bereits im dritten Jahr in Folge rückläufig ist. Seit 2016 liegt der Rückgang bei über zehn Prozent. Das hinterlässt Spuren: Allein unsere Unternehmen haben 2019 fast ein Viertel weniger Grundsteine gelegt als im Jahr zuvor. Das sind keine guten Nachrichten, und auch Folgen des Mietendeckels. Weil ihnen wegen des Deckels das Geld dazu fehlt, können unsere Unternehmen in den nächsten fünf Jahren etwa 12.000 Wohnungen weniger bauen, als sie eigentlich fest vorhatten.
Vertreibt der Mietendeckel die Investoren aus der Stadt?
Ein klares Ja. Verstärkt wird das noch durch andere Faktoren: wie die Enteignungsdiskussion, die jetzt wieder Fahrt aufnimmt und die Stadtgesellschaft seit mehr als anderthalb Jahren beschäftigt oder die wirtschaftskritische Sicht in Teilen der Stadt. Wir erinnern uns da an den Widerstand gegen den Google-Campus in Kreuzberg oder die endlosen Diskussionen um die Renaissance des Karstadt-Kaufhauses am Hermannplatz. Für das wachsende Berlin ist es da schon fast Glück im Unglück, dass Bauherren nicht allzu weit weg ziehen müssen: In Brandenburg wird ihnen oft der rote Teppich ausgerollt.
Wer sind die größten Verhinderer von Neubau? Die verschlafenen Genehmigungsstellen, die zu lang brauchen? Die Landespolitik, die unerfüllbare Ziele setzt oder die Anwohner, die immer wieder Projekte blockieren?
Es ist ein Konvolut an Faktoren, die Berlin in seiner Entwicklung hemmen. Sicherlich gehört eine unterbesetzte Verwaltung ebenso dazu wie Widerstände von Anwohner*innen bei Bauvorhaben. Zusammen mit dem Fehlen bezahlbarer Baugrundstücke und der aggressiven Investorenfeindlichkeit einiger Gruppen summiert sich das zu einem insgesamt negativen Klima. Was könnte diese Stadt aber nicht alles, wenn es hier eine wachstumsfreundliche Politik gäbe! Gerade auch im 100. Jubiläumsjahr von ‚Groß-Berlin‘, diesem unglaublich weitblickenden Projekt der Metropolenwerdung Berlins, fragt man sich: Wo ist die Vision, wo der langfristige Plan, wo der zupackende Optimismus?
Wird es Zeit, den Bezirken ihre Autonomie im Bereich Bauen zu nehmen, um Projekte schneller voranzutreiben?
Das dürfte illusorisch sein. Und es hat ja auch seinen Sinn, dass die Bezirke bei Bauprojekten nicht außen vor bleiben, schließlich kennen sie die Bedürfnisse vor Ort am besten und können auch in den Nachbarschaften vermitteln. Außerdem hätten Sie auch dann noch nicht die doppelte Herausforderung des Mangels in der Berliner Verwaltung gelöst: Personal und Digitalisierung.
Eine wachsende Stadt bedeutet nicht nur, dass mehr Wohnraum benötigt wird. Mit der steigenden Bevölkerung werden auch mehr Schulen und Kitas gebraucht. Aus diesem Grund ist 2016 die Schulbauoffensive gestartet. Aber was hat sich seitdem getan?
Für viele Projekte der wachsenden Stadt gilt: Der Fortschritt ist eine Schnecke. Zumindest bei der Schulbauoffensive hat das Land aber mit der HOWOGE eine starke Partnerin, die ihre Vorhaben zielstrebig voranbringt. Wie es aber bei den anderen großen Themen weitergehen soll, bleibt unklar. Ganz wichtig wäre auch die Vertiefung der Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg, wo ja mit der BER-Eröffnung und der Ansiedlung von Tesla zwei Großereignisse bevorstehen, die natürlich bis weit nach Berlin hinein ausstrahlen. Man darf gespannt sein. (aw)