Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Severin Fischer: Quartiere der Zukunft brauchen gute Mischung
Herausforderungen der wachsenden Stadt in Zeiten der Wohnraumknappheit
Die gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. und die IMMOEBS e.V. hatten zur Diskussion über Anforderungen an Quartiere der Zukunft an einen ganz besonderen Ort eingeladen, der zugleich ein gutes Beispiel für die Transformation von Industriebrachen zu gemischten Quartieren abgibt: das Quartier „27 ha Möglichkeiten“ des Projektentwicklers ZEITGEIST Asset Management, das soeben vom Bezirk den Aufstellungsbeschluss erhalten hat, kann auf eine bewegte Geschichte verweisen: Industriebahnhof, Fabrikgebäude, Speziallager der sowjetischen Besatzungsmächte, Baulager für Plattenbauten, Hauptquartier der Hells Angels und zum Schluss versiegelte Industriebrache – ein trostloser Ort mitten in Lichtenberg-Hohenschönhausen.
gif-Vorsitzender Dr. Mathias Hellriegel diskutierte mit Dr. Severin Fischer, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Peter Noack, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter von ZEITGEIST und Diana Anastasija Radke, KVL Group darüber, wie sich Ansprüche an Wohnen, Arbeiten und Produktion geändert haben und wie Politik und Stadtgesellschaft darauf reagieren können.
Dr. Mathias Hellriegel stellte die Eingangsfrage, wie sich Brachen mit Leerständen, die Schattenwirtschaft und Kriminalität anziehen, erfolgreich zu lebendigen Quartieren transformieren können: „Wir benötigen gerade in der wachsenden Stadt Berlin dringend neue Flächen für Wohnen, Arbeiten und Produzieren. Eine sinnvolle Mischnutzung, ein Quartier der kurzen Wege, Versorgungsangebote und kurze Wege schaffen die Attraktivität, die Berlin braucht.“ Dafür gäbe es zahlreiche Beispiele, die Hellriegel auch gleich aufzeigte: Die Marienhöfe in Tempelhof, das Neues Ufer Moabit, das Knorr-Bremse-Areal in Marzahn oder das Siemens-Quartier.
Staatssekretär Dr. Severin Fischer bestätigte, dass Berlin die Fähigkeit zur Transformation bewiesen und gezeigt habe, wie das Zusammenwirken von Gewerbe und Wohnen funktioniere. Dr. Severin Fischer: „Angesichts sich verändernder Arbeitswelten entstehen neue Visionen für eine zukunftsfähige Stadt. Es gibt unübersehbare Veränderungen in der Produktion und in der Arbeitswelt. Arbeitsplätze sichern und auch in EpB-Gebieten Wohnen integrieren, das macht eine gute Entwicklung mit Wertschöpfungsflächen aus.“
Berlin hat prozentual mehr als doppelt so viele Industrie- und Gewerbeflächen wie München und auch mehr als Hamburg – trotz des größten deutschen Hafens dort. Das liegt an Berlins Geschichte: Die Stadt wuchs als Elektropolis und die Industrie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten stark subventioniert. Seit der Wiedervereinigung erfindet sich Berlin neu. Mit Erfolgen in der Gesundheits-, Digital- und Kreativwirtschaft überholt Berlin seit über 15 Jahren den Bund in Sachen Wachstum. Doch wo sollen die Arbeitskräfte arbeiten und leben? Berlin ist ohne Zweifel ein großartiger Ort, der eine große Anziehungskraft ausübt auf Menschen, die hier arbeiten wollen. Für diese Menschen muss Berlin aber auch bezahlbaren Wohnraum anbieten können, sonst läuft die Magnetwirkung ins Leere.
Peter Noack, Gründer und CEO von ZEITGEIST Asset Management, der das Areal in Hohenschönhausen entwickelt und soeben vom Bezirk Lichtenberg den Aufstellungsbeschluss erhalten hat, beschreibt seine Entwicklerphilosophie so: „Wenn wir uns eine Entwicklungsfläche ansehen, dann fragen wir nach der Idee, die der Fläche, die der Stadt gerecht wird. Wir wollen spüren, was die Bevölkerung braucht. Bei unserem Areal 27 ha Möglichkeiten haben wir diese Frage zusammen mit dem Bezirk und dem Senat versucht, zu beantworten. Wir sind uns einig, dass Monostrukturen der falsche Ansatz sind. Eine so groß angelegte Stadtreparatur auf zumeist versiegelten Brachflächen, die Kriminalität anziehen und schlicht verwahrlost sind, verdienen eine Entwicklung, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, und das ist ein lebendiges Quartier mit verschiedenen Nutzungen, die den gewerblichen Charakter wahrt, aber auch Wohnen integriert, Infrastruktur und Grün anbietet und insgesamt den Ansprüchen einer 15-Minuten-Stadt gerecht wird.“
Fazit der Diskussion: Berlin muss, um seine Attraktivität auch in Zukunft zu bewahren, Unternehmen Angebote für Gewerbeflächen machen und gleichzeitig für die Mitarbeitenden idealerweise Wohnungen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Verfügung stellen. Nachhaltige Quartiere mit Infrastrukturangeboten und Grünflächen, aber auch mit einer ausreichenden Dateninfrastruktur stärken die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hauptstadt. Weitere Erkenntnis: Die Berliner Politik und insbesondere das Zusammenwirken von Bezirk und Senat, hat in Lichtenberg hervorragend funktioniert. Gut für den Standort Berlin wäre, wenn dieses Positivbeispiel auch in anderen Bezirken wie Kreuzberg Schule machen würde. (fs)