Digitalisierung erfordert Beweglichkeit
Im Gespräch mit Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie
Die voranschreitende Digitalisierung verändert wie wir leben und arbeiten. Doch wie weit ist Deutschland bei diesem Thema?
Das Handelsblatt bezeichnete Sie bereits 2012 als „Twitter-König“. Das Thema Digitalisierung und soziale Medien ist also kein Fremdwort für Sie. Doch noch immer ist viel zu tun – wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf im Bereich Digitalisierung?
Deutschland hat eine gute Startposition in Sachen Digitalisierung. In der Tat ist es jetzt aber notwendig, dass wir die dringenden Themen angehen – die Bundesregierung trägt ihren Teil mit konkreten Projekten dazu bei, die Wirtschaft muss das Ihrige dazutun. Handlungsbedarf sehe ich insbesondere bei den folgenden Themen.
- Breitbandausbau/5G: Wir benötigen bis zum Jahr 2025 gigabitfähige Netze und müssen uns zum Leitmarkt für 5G entwickeln.
- Künstliche Intelligenz: KI ist DIE Schlüsseltechnologie für die gesamte Wirtschaft. In der Forschung sind wir schon sehr gut, bei der Kommerzialisierung praktischer Anwendungen besteht erheblicher Nachholbedarf. Hier setzen wir mit der KI-Strategie und ich selbst mit meiner Nationalen Industriestrategie 2030 an. Das BMWi ist auch schon in die Umsetzung der KI-Strategie eingestiegen: Rund 130 Konsortien haben sich beworben, um im Rahmen unseres KI-Innovationswettbewerbs Leuchtturmprojekte der KI in Deutschland umzusetzen.
- Wagniskapital: Wir brauchen mehr Wagniskapital in Deutschland, insbesondere in der frühen Wachstumsphase, damit gute Ideen und innovative Geschäftsmodelle bei uns groß werden. Viel zu oft gehen helle Köpfe ins Ausland, weil Ihnen bei uns die finanzielle Unterstützung zur weltweiten Skalierung ihrer Ideen fehlt. Gerade erst Ende März hat daher der Bund gemeinsam mit der KfW eine Venture-Debt-Finanzierung für innovative Unternehmen in der Wachstumsphase gestartet.
Deutschland hinkt im europäischen Vergleich immer noch hinterher, wenn es um die digitale Infrastruktur und den Breitbandausbau geht. Im aktuellen Index der EU-Kommission für Digital Economy und Society 2018 Deutschland gerade einmal Platz 14 belegt. Was machen andere besser und wie kann Deutschland aufholen?
Der Country Report für Deutschland stellt zutreffend fest, dass es ein Stadt-Land-Gefälle bei der Breitbandversorgung in Deutschland gibt und insgesamt noch wenige Glasfaseranschlüsse verfügbar sind. Gerade für Unternehmen ist eine „mangelnde Breitbandversorgung“ das häufigste Digitalisierungshemmnis – hier müssen wir schnell besser werden, denn viele andere Länder sind uns tatsächlich einige Schritte voraus. Beim Ausbau besonders zukunftsfester Glasfasernetze besteht das Problem, dass die Nachfrage noch unterentwickelt ist: Nur etwa ein Drittel der wenigen bestehenden Glasfaseranschlüsse werden auch tatsächlich genutzt. Deshalb werden wir politisch flankieren: Insbesondere durch einen entsprechenden Ordnungsrahmen, zum Beispiel eine investitionsfreundliche Regulierung zukunftsfester Glasfaseranschlussnetze und durch die Bereitstellung zusätzlicher öffentlicher Mittel.
Aktuell wird viel über die Einführung des 5G-Standards gesprochen. Ist es nicht viel wichtiger Funklöcher, sogenannte weiße Flecken im Mobilfunknetz, zu beseitigen und zumindest 4G, also den aktuellen Standard flächendeckend einzuführen?
Beides ist wichtig. Die aktuelle Mobilfunkdebatte in Deutschland hat zwei Schwerpunkte: die mangelhafte Versorgungssituation und Maßnahmen zu deren Verbesserung einerseits sowie die neue Mobilfunkgeneration 5G andererseits. Die Bedingungen für die aktuell laufende Frequenzauktion umfassen umfangreiche Versorgungsauflagen und Anreize für kooperativen Netzausbau, wofür sich die Bundesregierung eingesetzt hat. Netzbetreiber müssen insbesondere entlang der Autobahnen für schnelles Internet sorgen; auch die Versorgung entlang der übrigen Verkehrswege wird sich verbessern. Mit der laufenden Auktion ebnen wir zudem den Weg für hochleistungsfähigen 5G-Mobilfunk, der auch einen wichtigen Beitrag zum Gigabitnetzausbau im Bereich der „letzten Meile“ leisten kann. Darüber hinaus wird die Bundesregierung bis Mitte des Jahres 2019 ein Gesamtkonzept erarbeiten, das über reine frequenzregulatorische Maßnahmen hinausgeht und geeignet ist, auch weiße Flecken im Mobilfunknetz rasch zu schließen.
Das Vertrauen der Deutschen in die Digitalkompetenz der Bundesregierung ist gering ausgeprägt. Woran glauben Sie liegt das und was machen Sie, um dieses Bild zu verändern?
Die aktive Gestaltung der Digitalisierung ist außerordentlich komplex und wurde nicht zuletzt deswegen in Deutschland zur Chefsache gemacht. Unter Federführung des Kanzleramts wurde die Umsetzungsstrategie „Digitalisierung gestalten“ im November 2018 verabschiedet – damit werden die vielfältigen Maßnahmen der verschiedenen Ressorts zentral gesteuert. Ein wichtiger Beitrag in diesem Zusammenhang und ganz konkreter Nutzen für Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmen ist die zunehmende Digitalisierung der Verwaltung. Bis 2022 sollen alle relevanten Verwaltungsleistungen von Bund, Länder und Kommunen auch online zur Verfügung stehen. Dann können Anträge künftig einfacher gestellt und schneller bearbeitet werden. In unserer föderalen Staatsstruktur ist diese Neuausrichtung alles andere als einfach. Aber wir setzen alles daran, dass die Menschen schnell Verbesserungen erleben werden. Denn nicht nur die Wirtschaft wird digitaler; der Staat muss es auch werden.
Künstliche Intelligenz, Sensorik, autonomes Fahren – wie innovativ ist die Bundesrepublik in Sachen Digitalisierung?
Deutschland verfügt über eine exzellente Forschungslandschaft, die viele digitale Innovationen hervorbringt. KI spielt hier eine besondere Rolle. Im Bereich der KI-Forschung ist Deutschland auf einem weltweit führenden Niveau. Dies gilt insbesondere für das maschinelle Lernen, eine der wichtigsten Grundlagen für das autonome Fahren. Bei der Umsetzung unserer vielversprechenden Forschungsansätze in innovative Anwendungen, Produkte und Dienstleistungen hapert es aber noch etwas. Das können andere, wie die USA und zunehmend China, besser. Deshalb mache ich mich persönlich stark für den Transfer in die Wirtschaft und vielfältige Anwendungsmöglichkeiten von KI in allen Bereichen der Gesellschaft.
KI wird ein zentraler Wachstumstreiber sein. Laut einer unserer Studien liegt die zusätzliche Wertschöpfung durch KI allein im produzierenden Gewerbe bei rund 32 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren. KI ist eine große Chance für Kernbereiche der deutschen Wirtschaft: Maschinenbau, Produktion, Logistik und Fahrzeugbau. Wir wollen Deutschland und Europa zu einem führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien machen und eine gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung von KI sicherstellen. Ich glaube, wir benötigen einen strategischen Industrieakteur, einen Airbus für KI, also ein privatwirtschaftliches, länderübergreifendes Unternehmen, das finanziell und politisch von den Ländern unterstützt wird und die besten KI-Anwendungen marktreif macht.
Sie wollen Unternehmen größere Freiräume bei der Erprobung neuer Technologien geben. Welche Ziele verfolgt das BMWi mit seiner Reallabore-Strategie?
Die Digitalisierung legt ein Tempo vor, das auch vom Gesetzgeber eine neue Beweglichkeit erfordert. Heute wissen wir noch nicht, welche Regeln wir für Lieferroboter, Paketdrohnen und KI-Lösungen benötigen, daher müssen wir Dinge ausprobieren und Freiräume schaffen, auch in Sachen Regulierung. Das Personenbeförderungsrecht ist ein schönes Beispiel: Eine Experimentierklausel erlaubt es, Erfahrungen mit neuartigen Mobilitätsformen zu sammeln, die dann in eine Überarbeitung des rechtlichen Rahmens einfließen können. Mit unserer Reallabore-Strategie wollen wir diese Idee der Erprobung auch in anderen Bereichen viel stärker in Deutschland verankern. (aw)