Die schweizerische E-Revolution
Gastbeitrag: Die Schweiz ist der unumstrittene Weltmeister in Sachen Innovation. Als russisch-zyprischer Geschäftsmann mit einem Hintergrund in den Gebieten Öl- und Gashandel, ist dies für mich besonders auf der Straße direkt ersichtlich. Hier dominieren Teslas und Renault Zoes das Straßenbild - so fahren bereits fast 80'000 Autos mit alternativem Motor auf den Schweizer Straßen. Trotz eines regelrechten Booms in den letzten Jahren ist der Anteil an elektrisch betriebenen Fahrzeugen weltweit immer noch verschwindend gering – in meinem Heimatland Russland drehen nur knapp 2'000 Elektroautos ihre Runden. Hier ist man in der Schweiz klar voraus. Kein Wunder – man zählt zu den Top 5-Nationen weltweit, was den Marktanteil von Batterieautos betrifft. Autos mit Elektroantrieb sind eine vielversprechende Technologie zur Reduktion der Treibhausgase des Verkehrssektors. Um die Umwelt zu entlasten, müssen diese jedoch in großen Mengen gekauft werden und Verbrennungsmotoren ersetzen. Damit das Ziel des Pariser Klimaübereinkommens erreicht werden kann, muss die vollständige Elektrifizierung des Pkw-Bestands bis 2050 abgeschlossen sein. Unter Berücksichtigung der Lebensdauer von Autos muss also der letzte Verbrenner im Jahr 2030 verkauft werden.
Transportsektor für ein Drittel der Schweizer CO2-Emissionen verantwortlich
Um hierzulande bereits im Jahre 2050 klimaneutral sein, muss jedoch sicherlich noch einiges passieren, denn der Transportsektor ist in der Schweiz noch immer für rund einen Drittel der Schweizer CO2-Emissionen verantwortlich. Die letztjährigen nationalen Wahlen, die zu einem Anteil der Grünen und der Grünliberalen von über 20% geführt haben, werden in den kommenden Monaten eine noch stärkere Klimapolitik sicherlich fördern – dies ist auch in den gegenwärtigen Diskussionen im Parlament zum CO2-Gesetz sichtlich spürbar.
Oft werden materielle Hindernisse als Hauptgrund für die tiefen Marktanteile genannt – Elektroautos seien für die Verbraucher einfach (noch) zu teuer. Jedoch gelingt es E-Autos selbst in Regionen, in denen materielle Hindernisse eine untergeordnete Rolle spielen, nicht, den Bestand an Verbrennern schneller zu ersetzen. Experten suggerieren deshalb, dass neben materiellen Aspekten auch verhaltenspsychologische Dimensionen die Transition verlangsamen. Zwei der markantesten Faktoren hierbei sind Gewohnheiten und kognitive Verzerrungen.
Wechsel auf neue Technologie wird oft als Risiko wahrgenommen
Seit dem Zeitpunkt, an dem der Verbrenner den damals bereits auf Batterietechnik beruhenden Elektromotor als dominanten Antrieb verdrängt hat, also vor etwas mehr als einem Jahrhundert, haben sich unsere Gesellschaft sowie unsere Erwartungen an die individuelle Mobilität an dieses Antriebssystem angepasst. Ein Wechsel auf eine neue Technologie wird deshalb oft auch als Risiko wahrgenommen. Ist die Reichweite denn ausreichend? Kann ich noch mit dem Auto nach Italien in die Ferien fahren? Wo und wie kann ich das Auto laden? Sind E-Autos nicht viel gefährlicher und sind sie denn wirklich grüner?
Risikowahrnehmung soll reduziert werden
Um eine stärkere Absenkung zu ermöglichen, müssen diese psychologischen Hindernisse honoriert und verstärkt Schritte ergriffen werden, um die Risikowahrnehmung der Bevölkerung zu verringern. Eine konkrete Option sind die vom Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler konzipierten «Nudges», also Eingriffe in das Entscheidungsproblem, ohne jegliche Optionen zu verbieten oder wirtschaftliche Anreize zu verändern. Diese Interventionen zielen darauf ab, die Verbraucher subtil zu motivieren, auf umweltfreundlichere Alternativen zu wechseln. Im Falle der Elektromobilität ist das Bestreben dieser Interventionen, die Risikowahrnehmung, welche bei neuen Technologien jeweils höher ist, und damit irrationales Verhalten und Denkfehler zu reduzieren. Wie Richard Thaler zu sagen pflegt: Wenn man zu einem spezifischen Handeln ermutigen will, muss man das Entscheidungsproblem vereinfachen. Denn ohne die Implementierung neuer und innovativer Denkansätze in die praktische Umweltpolitik – besonders im so veränderungsresistenten Transportsektor – droht die Klimakatastrophe. Unsere Kinder, deren fünf ich zähle, werden uns zu danken wissen.
Über den Autor
Ruslan Goryukhin ist ein erfolgreicher russischer Geschäftsmann und Philanthrop. Er begann seine Karriere während des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Von seiner Heimatstadt Odessa aus expandierte er mit eigenen Kleinbetrieben nach Moskau und machte sich schließlich durch seine Tätigkeit als Leiter der Moskauer Repräsentanz der OAO Kuznetskiye Ferrosplavi, damals einer der größten Produzenten von Ferrosilizium in Russland, einen Namen. Später wurde er eingeladen, die Position des CEO bei Stroygazmontazh zu übernehmen, dem russischen Unternehmen, das auf den Bau von Öl- und Gastransportsystemen spezialisiert ist. Er ging 2014 in den Ruhestand und lebt heute mit seiner Familie in der Schweiz am Ufer des Genfer Sees.