Berliner Immobilienkongress 2020: Aufbruch oder Verdruss?
Michael Rücker vom Veranstalter Immocom sprach bei der Eröffnung zum 5. Berliner Immobilienkongress vor den 350 Teilnehmern von der Corona-Pandemie als Menetekel einer Zeitenwende. Doch war das Spitzentreffen der Berliner Immobilienwirtschaft im weiteren Verlauf ohne apokalyptischen Grundton. Im Gegenteil: In allen Assetklassen konnte mehr oder weniger ein business as usual konstatiert werden. Und selbst der Eröffnungsredner, der häufig als Investorenschreck verschriene Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, hatte an diesem Tag versöhnliche Töne. Das lag sicher nicht nur an seinem 45. Geburtstag, der ihn nicht abhielt, sich der kritischen Diskussion zu stellen.
Schmidt gab ein wuchtiges Statement ab und beklagte das theatralische Auftreten von Entwicklern, die sich als Wohltäter und Bestandshalter gerieren und dann doch wieder nur spekulieren und weiterverkaufen. „Auch als Entwickler muss man nicht immer an der Kante dessen arbeiten, was kommerziell möglich ist“, so Schmidt. „Ein Berlin für Alle muss möglich sein.“ Mit eindrucksvollen Zahlen belegte er die Bautätigkeit in seinem Bezirk und betonte, dass in seiner Amtszeit zwei Hochhäuser genehmigt worden seien. Und bei dem von ihm kritisierten Deal des Senats mit der Signa AG stellte er befriedigt fest, dass das Problem Karstadt am Hermannplatz vom Senat in die nächste Legislaturperiode verschoben sei. Sein Lösungsansatz für ein schnelleres Bauen: Spekulationssteuer und Baugebot.
IVD-Präsident Jürgen Schick wünschte sich eine „ideologiefreie Wohnungspolitik“ und sprach sich für eine Angebotsausweitung aus, die den Preisdruck vom Berliner Markt nehmen könnte. Schmidt stimmte insofern zu, dass Neubau dringend benötigt wird, „Riesengeschäft mit dem Bestand“ werde er aber bekämpfen. So waren die Meinungsunterschiede doch nicht so groß wie zunächst gedacht, auf die Aussage, dass weiterer Neubau das wichtigste Mittel gegen die grassierende Wohnungsnot ist, konnten sich schließlich alle Diskutanten einigen.
Wege aus der Wohnungsnot
Julia Temper, Head of Sales Developer & Commercial Immobilien Scout, schockte mit von ihrem Unternehmen ermittelten Statistiken zur Mietpreisentwicklung. Die Mieten in Berlin in den Jahren 2007 bis 2020 sind um 95 Prozent gestiegen, die Preise für Eigentumswohnungen gar um 213 Prozent in die Höhe geschossen.
Was sind die Wege aus diesem Dilemma? Maren Kern, Vorstand BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, stellte fest, dass in Berlin schlichtweg zu wenig gebaut wird und forderte, dass auch in der Politik „ein Bewusstsein für die Gesamtpreismieten in Berlin“entstehen müsse – denn diese seien vergleichsweise immer noch niedrig.
Kleingartenflächen bebauen?
Immobilienentwickler und Chef der Allgemeinen Immobilien-Börse, Christian Gérôme, brachte die Berliner Kleingartenflächen ins Spiel. Diese seien oft viel zu groß – auch für die Laubenpieper selbst. „Niemand will den Kleingärtnern ihre Gärten wegnehmen, wenn man aber die Ränder an den Straßen bebauen würde, ließe sich in der Wohnungsnot schon deutlich Abhilfe schaffen“, so Gérôme. Aus Sicht von Maren Kern ein sinnvoller Vorschlag, der aber immer noch schwer zu vermitteln ist: „Grundsätzlich verfügt Berlin über zahlreiche Brachflächen, Teilbebauungen am Tempelhofer Feld und in der Elisabeth-Aue sind ebenfalls möglich, jedoch muss der Wille dazu vorhanden sein – in der Politik und auch bei den Menschen.“ Gérôme weiter: Wir haben in Berlin eine künstliche Wohnungsnot. Keine Stadt in Europa hat mehr Bauflächen als Berlin. Offiziell sind es ca. 1 Million Quadratmeter. Ich schätze, es sind deutlich mehr. Aber der Senat und insbesondere die Linkspartei blockieren das Bauen, weil für sie Wachstum negativ ist. Daher wird die Randbebauung am Flughafen Tempelhof blockiert, Brachflächenbebauung wird blockiert, Randbebauung von Kleingartenflächen wird blockiert. Viele Wohnungssuchende fragen sich: Warum müssen Kleingärtner auf 400 oder 500 oder sogar 700 Quadratmeter großen Parzellen ihrem Hobby nachgehen? Ein Lösungsansatz: Keiner will den Kleingärtnern ihr Paradies nehmen. Wenn sie sich auf zum Beispiel 300 Quadratmeter beschränken würden, könnten wir in Berlin auf den eingesparten Flächen ca. 30.000-50.000 Sozialwohnungen bauen. Wenn wir weitere Brachflächen bebauen würden, könnten nochmal 100.000-150.000 Wohnungen entstehen", zitierte Gérôme aus einer Studie seines Hauses. So könne man Mietpreise senken. Damit bräuchte man keine Mietpreisbremse oder Mietendeckel, die keinen Neubau schaffen, sondern die Gesellschaft spalten, so der Gründer der Allgemeinen Immobilien-Börse.
Schlechte Aussichten für den Mietendeckel
Auf die Frage, ob der Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, waren sich die Panelteilnehmer einig, dass dieser aller Voraussicht nach kippen wird, man aber damit rechnen müsse, dass dann aus der Politik weitere Regulationseingriffe folgen werden.
Wohnungen vs. Office?
Die Teilnehmer im Panel „Office“ waren guter Stimmung. Es sei noch zu früh für Prognosen, was die Corona-Pandemie anrichten werden, so die einhellige Meinung. „Aktuell liegt die Rent Collection bei uns fast auf Vorkrisenniveau“, sagte Sebastian Blecke, Geschäftsführer der GSG Gewerbesiedlungs-Gesellschaft. „Wir haben mehr als 2.000 Unternehmen als Mieter, nur mit fünf davon haben wir einen Mietennachlass ausgehandelt.“
Doch steht der Büromarkt in Konkurrenz zu den ebenfalls dringend benötigten Wohnungen? Aus Sicht von Benjamin Albrecht, Head of Development der TLG Immobilien AG, ist das nicht der Fall: „In Berlin muss sowohl gewohnt als auch gearbeitet werden. Es ist nicht sinnvoll, diese Nutzungsformen gegeneinander auszuspielen, man sollte stattdessen in gemischten Quartieren denken. Office-Entwickler wie die TLG wollten schon immer moderne und flexible Arbeitswelten schaffen, diese Lösungen seien auch in einer Krise zukunftsfähig“, so Albrecht: „Dabei sollte man nicht nur auf eine Karte setzen, sondern als Unternehmen über ein ausgewogenes Portfolio verfügen. Dann lassen sich auch Krisen wie die aktuelle Corona-Pandemie besser bewältigen.“
Doch was ist mit dem Gewerbemietendeckel, der analog zum Mietendeckel schon im Gespräch ist? „Solche Regularien bekämpfen immer nur die Wirkung, nicht die Ursachen“, so Albrecht weiter. Man müsse die Märkte stärken anstatt in dieser Form zu regulieren, forderte der international anerkannte Experte.
Gute Stimmung in der Branche
Bauen statt regulieren – auf diese knappe Formel lässt sich die einhellige Meinung der Branchenvertreter zusammenfassen, da kann auch Florian Schmidt zustimmen, der sich ebenso für Neubau stark machte. Dem Mietendeckel wird keine große Zukunft prophezeit – auch hier war man sich einig. Die Strategien, mit denen man der Wohnungsnot, aber auch den Herausforderungen der Corona-Pandemie, begegnen sollte, sind vielfältig – eine Moll-Stimmung angesichts von COVID-19 ist jedenfalls in der Branche nicht festzustellen. Insofern lautete die Antwort der Branchenexperten des Berliner Immobilienkongresses: Aufbruch statt Verdruss! (ak)