10 Fragen an… Bettina Jarasch
Klimaneutrale Stadt – mit diesem Ziel gehen die Berliner Grünen in den Wahlkampf. Doch was verbirgt sich dahinter? Wie werden die Grünen mit anderen großen Herausforderungen in der Hauptstadt wie Wohnungsnot und soziale Ungerechtigkeit umgehen? Mit zehn Fragen an Bettina Jarasch hat sich die BERLINboxx auf die Suche nach der grünen Sicht auf die Themen der Hauptstadt vor der Wahl gemacht.
Wie sind Sie zur Politik gekommen? Gab es ein konkretes Ereignis in Ihrem Leben, das Ihnen dazu Anlass gab?
Das wird Sie womöglich überraschen. Es war der Asylkompromiss von 1993. Damals hat der Staat als Antwort auf brennende Flüchtlingsheime die Grundrechte beschnitten, anstatt Menschen vor rechtem Terror zu schützen. Das hat mich nicht mehr losgelassen, der Schutz der Menschenrechte ist bis heute ein wesentlicher Antrieb für mich.
War für Sie von Anfang an klar, dass Sie zu den Grünen gehen würden?
Flucht und Migration sind globale Fragen. Genauso wie die Bekämpfung des Klimawandels. Die Grünen waren damals die einzigen, die diese globalen Zusammenhänge gesehen haben. Sie haben Themen auf die Agenda gesetzt, die über den nächsten Wahltag hinausreichen. Insofern war klar, dass ich bei den Grünen landen musste.
Welche Akzente werden Sie setzen, falls Sie Bürgermeisterin von Berlin werden sollten? Was sind für Sie die wichtigsten Themen in der Hauptstadt? Welche Pläne haben Sie?
Die Aufgabe dieser Zeit ist die Bewältigung der Klimakrise. Wir müssen das Pariser Abkommen erfüllen, ich möchte Berlin zur klimaneutralen Metropole machen. Zentral dafür ist die Verkehrswende. In Berlin sollen sich alle bequem, schnell und sicher bewegen können, ohne dafür ein eigenes Auto zu brauchen. Wir Grüne wollen nicht nur mehr Radwege, sondern auch mehr autofreie Kieze und Spiel- und Einkaufsstraßen ermöglichen sowie das Berliner Bus- und Bahn-Netz vernünftig ausbauen. Das gilt insbesondere für die Stadtrandlagen. Dazu gehören dann auch dichtere Taktungen: ein 5-Minuten Takt in dicht besiedelten und ein 10-Minuten Takt in weniger dicht besiedelten Gebieten. Wenn wir wollen, dass die Menschen ihr Auto abschaffen, dann müssen wir auch die entsprechenden Angebote machen.
Mietendeckel und Enteignungsdebatte haben das Vertrauen der Immobilienunternehmer in die Berliner Politik erschüttert. Viele Investoren haben sich zurückgezogen. Wie wollen Sie zurück zu einem konstruktiven Dialog mit der Immobilienbranche kommen?
Ich bin in einem konstruktiven Gespräch mit der Immobilienbranche. Wir Grüne wollen einen zu 50 Prozent gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt in Berlin und werden mit allen konstruktiven Kräften zusammenarbeiten. Dafür braucht es neben Ankauf und Regulierung auch viel Neubau. Aber eins muss uns klar sein: Seit der Finanzkrise 2008 ist der Berliner Immobilienmarkt immer mehr zum Spielball von spekulativen Ankäufen, institutionellen Anlegern und Fonds geworden. Die Mietpreise sind explodiert, wohlgemerkt auch die Gewerbemieten – das Geld fließt aber großenteils aus Berlin ab und kommt der regionalen Wertschöpfung nicht zugute. Das müssen wir dringend ändern, diese Entwicklung gefährdet den Zusammenhalt und auch den Wirtschaftsstandort Berlin. Der Mietendeckel ist daher als Notbremse richtig und breit getragen von der Bevölkerung. Den werden wir nicht ohne eine intelligente Lösung zur Regulierung der Mieten auslaufen lassen.
Worauf wird Ihr Fokus liegen, wenn es um künftige Stadtquartiere in Berlin geht?
Auf Vielfalt. Wir Grünen wollen einen guten Mix aus Wohnen, Einkaufen und Arbeiten in der ganzen Stadt sicherstellen und gezielt ökologisches Bauen und Sanieren von Wohnungen fördern. Und wir wollen mehr Lebensqualität in den Kiezen, zum Beispiel durch mehr Stadtgrün und weniger Autos. Corona hat uns gezeigt, wie wichtig ein lebenswerter öffentlicher Raum ist. Gerade für Menschen mit geringem Einkommen, die keinen Garten und keine Datsche haben. Mein zweites Leitbild ist der Siedlungsstern: neue Quartiere müssen wir entlang der Schienentrassen entwickeln, die Berlin und Brandenburg verbinden. Da müssen wir verdichten und dafür den Raum dazwischen nicht zersiedeln.
Berlin ist eine Hochburg für Start-ups und zieht jedes Jahr junge Gründer*innen an. Welche Anreize wollen Sie geben, dass es weiterhin so bleibt?
Wieder lautet ein Teil der Antwort: Vielfalt. Das ist einfach die Stärke dieser Stadt. Das macht sie gerade für innovative, neugierige Menschen so attraktiv. Zweitens Räume: Viele kleinere Start-ups brauchen vor allem Räume, auch um neue Produkte zu testen und zu entwickeln. Und drittens eine überzeugende Vision: Wir wollen Berlin zur klimaneutralen Stadt machen, in der die Lösungen für die Klimakrise erfunden, produziert und auch gelebt werden. Das wird Priorität im Regierungshandeln haben. Deshalb wollen wir nach Corona ein 500 Millionen-Konjunkturprogramm auflegen, das die Anreize für eine ökologische und digitale Transformation der Wirtschaft setzt. Gründer*innen, die dazu beitragen können, sind in Berlin am richtigen Ort!
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat sich in seiner Amtszeit sehr um den Wissenschaftsstandort Berlin bemüht. Wollen Sie diesen Weg weiter beschreiten?
„Bemüht“ klingt, als wäre da nichts passiert. Rot-rot-grün hat schon vieles erreicht. Mein festes Ziel ist es, den Wissenschaftsstandort Berlin weiter auszubauen. Das ist eine der Stärken dieser Stadt, als Wirtschaftsstandort und als Metropole, die Lösungen für die Zukunft entwickelt. „Listen to the Science“ ist zudem eine der wichtigsten Forderungen der uns prägenden Klimabewegung. Für die Bewältigung der Klimakrise muss Wissenschaft praktisch werden, also auch Vorschläge für die Umsetzung machen. Deshalb freue ich mich sehr über das Vorhaben der Berliner und der Brandenburger Wissenschaftsinstitutionen, angetrieben von der Berliner TU und dem Potsdamer PIK, diese Aufgabe in einem Climate Change Center gemeinsam anzugehen. Mit der Förderung der elf Zukunftsorte Berlins – vom Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof über die geplante neue Urban Tech Republic am TXL bis zum CleanTech Business Park in Marzahn – vereinen wir Wirtschaft und Wissenschaft bereits erfolgreich. Das werden wir weitertreiben, ebenso die auskömmliche Hochschulfinanzierung.
Ein zentraler Punkt Ihres vorläufigen Wahlprogramms ist der Öffentliche Nahverkehr. Wie sieht in Ihren Augen das optimale Verkehrskonzept für die Hauptstadt aus? Wie möchten Sie Individual-, Wirtschafts- und Kollektivverkehr verträglich zusammenbringen?
Für uns ist der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs tatsächlich zentral. Die Menschen sollen schnell an ihr Ziel kommen können, egal wo sie wohnen. Deshalb machen wir das Netz dichter, über neue Tram- und S-Bahn-Linien oder auch über Lückenschlüsse bei der U-Bahn. Um den Pendlerverkehr auf die Schiene zu bringen, werden wir eng mit Brandenburg kooperieren. Und ganz wichtig: Taktverdichtungen. Damit die Verkehrswende auch in den Stadtrandlagen spürbar wird. Ein Radwegenetz und mehr Fußgängerquerungen, um den Verkehr endlich sicherer zu machen. Und die berühmte letzte Meile für den Wirtschaftsverkehr ohne LKWs organisieren. Für all das müssen wir natürlich den Raum neu aufteilen. Berlin war jahrzehntelang eine autogerechte Stadt. Wir wollen sie zu einer menschengerechten Stadt machen. Und die Leute, die dann trotzdem noch ein Auto brauchen, profitieren von den dann entspannten Verkehrsverhältnissen.
Was verbirgt sich hinter der Idee eines „LebensMittelPunkt“ (LMP)? Welches Ziel wird damit verfolgt? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der „Food-Campus“?
„LebensMittelPunkte“ sind neben der „Kantine Zukunft“ und zahlreichen weiteren Projekten ein Teil der Berliner Ernährungsstrategie. Mit unserer Ernährung können wir viel für die Gesundheit tun, aber auch den Klima- und Umweltschutz voranbringen, denn eine andere Ernährung bedeutet auch eine andere Landwirtschaft. Auch deshalb sieht die Berliner Ernährungsstrategie mehr regionale und Bio-Produkte vor. An Lebensmittelpunkten im Kiez wird gemeinsam gekocht, es gibt Ernährungsberatung und Ernährungsbildung. Die Menschen können zudem Gemüse und Obst von kleinen Erzeugern direkt beziehen. Es geht also darum, das Thema Ernährung für die Menschen konkret vor Ort im Kiez erlebbar zu machen. Ich bin überzeugt, dass die nachhaltige Lebensmittelwirtschaft ein weiteres Zukunftscluster der Berliner Wirtschaft werden kann.
Soziale Gerechtigkeit spielt in dem Programm der Grünen ebenfalls eine große Rolle. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie Armut in Berlin bekämpfen und für die Berliner*innen mehr Sicherheiten und Perspektiven schaffen?
Sicherheit ist das richtige Stichwort. Corona hat uns gezeigt, dass wir eine umfassende Grundversorgung brauchen. Wir müssen das schützen, was die Menschen auch in einer Krise schützt. Das schließt eine sichere Bleibe, eine garantierte Grundsicherung und eine gesicherte Gesundheitsversorgung ein. Wir haben bei Vergaben schon den bundesweit höchsten Mindestlohn. Ich möchte den öffentlichen Gesundheitsdienst krisenfest machen, die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum stärken und vieles mehr. Und nicht zuletzt sind ein lebenswerter kostenloser öffentlicher Raum und ein guter Nahverkehr etwas, wovon gerade weniger Wohlhabende ohne Auto oder Garten profitieren. (aw)