„Ich stehe für eine starke Wirtschaft“
Im Gespräch mit Franziska Giffey Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die aktuelle Coronakrise offenbart deutlicher denn je: systemrelevante Berufe werden überwiegend von Frauen ausgeübt und schlecht bezahlt. Des Weiteren entscheidet noch immer die soziale Herkunft von Kindern in besonderem Maße über deren Bildungschancen und beruflichen Werdegang. Die BERLINboxx sprach mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey über genau diese Themen. Doch natürlich interessierte uns auch ihre Zukunft in der Berliner Politik. Welche Pläne hat Giffey, sollte sie regierende Bürgermeisterin in der deutschen Hauptstadt werden? Was muss anders, besser laufen?
Frau Giffey, während der Corona-Pandemie sehen wir, welche Berufe systemrelevant sind und dass sie überwiegend von Frauen ausgeübt werden. Durch welche Maßnahmen wollen sie zukünftig die Attraktivität und eine gerechtere Bezahlung in diesen Bereichen fördern?
Das finde ich sehr gut, dass Sie das auch so sehen. Frauen halten an vielen Stellen den Laden am Laufen, ob als Krankenpflegerin, Erzieherin oder Kassiererin – und das nicht nur während Corona. Ich arbeite dafür, dass wir insbesondere die sozialen Berufe stärker aufwerten. Hier arbeiten zu 80 Prozent Frauen. Entlohnung ist ein wichtiger Faktor für mehr Attraktivität, der Schlüssel dafür sind Tarifverträge. Sobald es die gibt, kann und will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil diese für allgemeinverbindlich erklären.
Der zweite Punkt sind bessere Arbeitsbedingungen. Darum kümmern wir uns zum Beispiel mit der „Konzertierten Aktion Pflege“ und einer großen Ausbildungskampagne. Für die Erzieherberufe haben wir eine Fachkräfteoffensive gestartet, um überall in Deutschland einen Startschuss für die praxisintegrierte vergütete Ausbildung zu geben. Und auch im „Gute-KiTa-Gesetz“ stecken viele Verbesserungen für das Personal drin, vor allem was den Betreuungsschlüssel betrifft. Die Ergebnisse werden sich nicht über Nacht zeigen. Aber wir sind auf einem guten Weg. Den müssen wir weiter gehen.
Warum macht es in einem Land wie Deutschland in Bezug auf Bildung immer noch so einen großen Unterschied, welchen familiären Hintergrund ein Kind hat? Was ist in Ihren Augen nötig, um hier einen Ausgleich zu schaffen?
Wir müssen dafür sorgen, dass es jedes Kind packt. Gerade, wenn es zu Hause nicht die nötige Unterstützung bekommt. In diesen Fällen muss der Staat da sein mit einer guten frühen Förderung und zwar ab dem Kleinkindalter. Gerade haben wir das 5. Kita-Investitionsprogramm gestartet, mit dem nochmal bis zu 90.000 Kita-Plätze zusätzlich geschaffen werden können. Dann kommt die Frage: Wie geht es in der Schule weiter? In Berlin stehen wir sehr gut da. Das ist aber nicht überall so. Darum braucht es den Rechtsanspruch für ganz Deutschland.
Durch Ihre Teamkandidatur mit Raed Saleh für den Landesvorsitz der Berliner SPD ist der Weg geebnet für das Amt der regierenden Bürgermeisterin. Welche Akzente werden sie setzen und was ist das Ihnen wichtigste Thema für die Hauptstadt?
Für die SPD gibt es mehrere wichtige Zukunftsthemen: Berlin ist eine wachsende Stadt. Wir brauchen mehr Wohnungen und eine noch bessere Infrastruktur. Wenn wir eine klimafreundliche Stadt wollen, müssen wir den öffentlichen Nahverkehr weiter stärken – das schließt den U-Bahn-Ausbau mit ein.
Zweitens: Gute Bildung – von der Kita bis zur Universität. Wir müssen Vorreiter sein, wenn es darum geht, Präsenzunterricht und E-Learning zu verbinden. Wir wollen die Wissenschaftsstadt Berlin weiterentwickeln. Und schließlich müssen wir dafür sorgen, dass diese Stadt gut funktioniert. Mit einer Verwaltung, die bürgerfreundlich und serviceorientiert handelt. Mit Polizeistellen und Ordnungsämtern, die angemessen ausgestattet sind, um Sicherheit und Ordnung für alle in der Stadt zu gewährleisten.
Sie sind Diplomverwaltungswirtin und Spezialistin für europäisches Verwaltungsmanagement. Wie wollen sie die Berliner Verwaltung service- und bürgerfreundlicher machen?
Berlin ist eine Metropole mit bald vier Millionen Einwohnern. Da braucht es eine moderne, gut ausgestattete Verwaltung. Zwei Beispiele: Die Potenziale der Digitalisierung können wir dafür noch besser nutzen. Nicht für jede Bescheinigung muss man persönlich im Amt erscheinen. Im Bundesfamilienministerium digitalisieren wir gerade unsere Familienleistungen. Das braucht es für alle Leistungen im öffentlichen Dienst. Berlin ist als Arbeitgeber das größte Unternehmen der Stadt. 150.000 Menschen im öffentlichen Dienst sollen stolz sein können, für eine der attraktivsten Städte der Welt zu arbeiten.
Unsere Stadt wächst kontinuierlich, bei den Themen Neubau und Infrastrukturentwicklungen geht es nur langsam voran. Was muss in Ihren Augen anders laufen?
Berlin ist eine Mieterstadt. Hier ist schon viel bewegt worden, um Mietsteigerungen zu begrenzen, etwa mit dem Mietendeckel. Aber es braucht weiterhin dringend auch den Neubau von Wohnraum. Berlin wächst in alle Richtungen. Das müssen wir gut steuern. Es muss für Investoren attraktiv bleiben, in Berlin ein Bauvorhaben zu realisieren. Wir brauchen dafür zügige Verfahren, klare Ansprechpartner und Regeln, die für Investoren und die Berlinerinnen und Berliner funktionieren. Mit dem Modell der kooperativen Baulandentwicklung gibt es ein Instrument, damit nicht nur schicke Luxusapartments entstehen, sondern auch günstigere Wohnungen. Knapp 30.000 Wohnungen sind so seit 2014 entstanden, davon knapp ein Drittel mietpreisgebunden. Diesen Weg müssen wir weiterverfolgen, damit Berlin eine Stadt für alle bleibt.
Berlin ist durch Enteignungs-Volksbegehren und Mietendeckel gespalten. Das Vertrauen der Wirtschaft in die Politik hat gelitten. Wie wollen sie zurück zu einem konstruktiven Dialog mit der Wirtschaft kommen?
Ich stehe für eine starke Wirtschaft und Wirtschaftsförderung. Aus einem einfachen Grund: Wir können nur verteilen, was wir vorher erwirtschaftet haben. Ich wundere mich manchmal, wenn von „Der Wirtschaft“ gesprochen wird, als wären das nur irgendwelche großen Bosse. Die Wirtschaft besteht zu einem großen Teil aus kleinen und mittelständischen Betrieben mit einer Handvoll Beschäftigten. Es gibt eine große und lebendige Start-up-Szene. Genau diese Mischung macht Berlin so spannend. Für mich gilt: Wer in Berlin ein Unternehmen gründet oder führt, trägt zum Wohlstand unserer Stadt bei und schafft Arbeitsplätze. Wir müssen Innovationen ermöglichen und wenn nötig Unterstützung geben. Insgesamt finde ich, Berlin kann stolz sein auf seine vielen erfolgreichen Unternehmen!
Eine Abschlussfrage in eigener Sache: die BERLINboxx ist in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden. Was schätzen sie ganz persönlich an dem Magazin, das übrigens eine Frauenquote von 70 Prozent hat?
Ich finde die BERLINboxx klasse! Und ich gratuliere sehr herzlich. Ich mag besonders, dass das Magazin Menschen vorstellt, die Berlin voranbringen, quasi die Berliner Köpfe. Das gibt unserer Stadt ein Gesicht. Es gibt so viele Macherinnen und Macher, engagierte Leute, die von Berlin magisch angezogen werden. Auch in einer Vier-Millionen-Stadt ist es schön zu wissen, wer die Dinge zum Positiven bewegt. (aw)