Verkehrssenatorin Bettina Jarasch: Klima- und Mobilitätswende auf gutem Weg
Geballte Verkehrskompetenz beim Tourismusdialog Berlin
Von Frank Schmeichel
Geballte Verkehrskompetenz beim Tourismusdialog im S-Bahn-Werk Schöneweide: Bettina Jarasch, Bürgermeisterin von Berlin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, warb leidenschaftlich für die von der Regierungskoalition angestrebte Klima- und Mobilitätswende. „Der ÖPNV ist das Rückgrat der Mobilitätswende“, betonte die Senatorin und sprach sich erneut für eine solidarische Finanzierung für einen leitungsfähigen ÖPNV aus. „Als Lokalpatriotin bin ich für das 19 EURO-Ticket für alle“, so Jarasch und brachte gute Argumente für das sogenannte Bärenticket. Bestärkt sieht sich die grüne Senatorin durch den überwältigenden Erfolg des 9-EURO-Tickets, dessen Finanzierung mit 2,5 Mrd. EUR zu Lasten des Schienenverkehrsausbaus geht. Jarasch: „Wir brauchen aber Mittel für den Ausbau, um den erhöhten Bedarf zu decken“.
BVG-Vorstandsvorsitzende Eva Kreienkamp lobte das sehr einfache und barrierefreie 9-EURO-Ticket, das das Fahrgastverhalten verändert habe. „Es eignet sich nicht nur für Pendlerbeziehungen, sondern auch für den Freizeitverkehr und Transversalen“, so die BVG-Chefin. Gleichzeitig relativierte sie die Auffassung, dass der Preis der einzige Schlüssel für den Erfolg sei. Die BVG hat das 9-EURO-Ticket mit Forschung begleitet. Das wichtigste Ergebnis: Es wurden PKW-Fahrer als ÖPNV-Nutzer gewonnen, von denen neun Prozent angaben, sich nicht zu erinnern, in der Vergangenheit je mit der BVG gefahren zu sein. Auch Peter Buchner, Vorsitzender der Geschäftsführung der S-Bahn Berlin, sieht eine „tolle Chance nach Corona“, die Menschen im ÖPNV zu halten. Die S-Bahn habe heute wieder das Fahrgastniveau von 2019 erreicht, und „der Kunde ist bestechlich“, was meint, dass ein attraktiver Tarif das Umsteigen auf den ÖPNV fördere.
Moderator Peter Neumann, Verkehrsexperte der Berliner Zeitung, lenkte das Expertengespräch auf weitere Themen der Mobilitätswende mit erheblichen Folgen für Berlin. Für auto-arme Wohngebiete plädierte Bettina Jarasch und forderte, dass der Verkehr in großen Quartier- und Stadtentwicklungen anders organisiert werden müsse. „Autonomes Fahren muss Standard werden“, so die Verkehrssenatorin und verwies auf die Planungen in der Siemensstadt 2.0. Eva Kreienkamp erläuterte am Beispiel des bestellbaren Minibusses in Mahlsdorf und Kaulsdorf die Notwendigkeit, auch in Randlagen ein attraktives Angebot unterbreiten zu müssen. Mit einem Preisaufschlag von 1 EUR 50 könnte ein Minibus bestellt werden, der den Transfer zu den bestehenden ÖPNV-Linien gewährleiste. Überhaupt seien kombinierte Verkehre an den Verkehrsknotenpunkten die Lösung, um ökologisch austarierten Alternativen zum heutigen autodominierten Verkehr zum Durchbruch zu verhelfen.
Unter den Gästen der Veranstaltung war auch Heben Woldai, Geschäftsführerin des Quartiersentwicklers COPRO. Das Unternehmen besitzt u. a. das Parkhaus am Gleisdreieck, in dem kürzlich mit Partnern wie der BVG/Jelbi, der Berliner Gesellschaft für Elektromobilität (eMO) und dem emissionsfreien Carsharing-Unternehmen Mobileeee ein Smart-Mobility-Hub für verschiedene Sharing-Angebote wie E-Autos, Räder und Roller eröffnet wurde. Dieses Pioniermodell dient schon heute in ganz Deutschland als Beispiel, wie ein traditionelles Parkhaus zu einem innerstädtischen Mobility- und Micro-Logistik-Hub transformiert werden kann – ein wichtiger Impuls aus Berlin für das globale Zukunftsthema Verkehrswende.
Beim Generationenprojekt Verkehrswende sind auch Konflikte vorprogrammiert. Die grüne Politik der Verkehrssenatorin hat zum Beispiel bei dem Projekt „Autofreie Friedrichstraße“ zu einer breiten Diskussion geführt und Bettina Jarasch heftigen Gegenwind von Handel, Verbänden und Anwohnern eingebracht. Eine Mikrolösung für die Friedrichstraße und die betroffenen Seitenstraßen versus einer Gesamtlösung für Berlin-Mitte stehen hier zur Debatte. Die Verkehrssenatorin strebt zwar weiter eine Entwidmung der Friedrichstraße vom Autoverkehr an, demonstriert allerdings zugleich Dialogbereitschaft. Sie wird in den nächsten Tagen Kaufleute und Gewerbetreibende an der Friedrichstraße treffen. Auch mit Wirtschaftssenator Stephan Schwarz werden Gespräche geführt. Denn eines ist klar: Die Verkehrswende, so wichtig und alternativlos sie ist, muss auch finanziert werden. Und das impliziert eben nicht nur verkehrsreduzierte Flaniermeilen, sondern auch einen funktionierenden Einzelhandel vor Ort. Wenn der aufgeben muss, weil das Verkehrskonzept sich als dysfunktional erweist, haben die Stadtplaner mit Zitronen gehandelt.