
Millionen Überstunden in Berlin – Appell an Bundesregierung
Der Hauptstadt mangelt es nicht an Überstunden: Rund 54,4 Millionen Stunden haben Beschäftigte im vergangenen Jahr in Berlin zusätzlich gearbeitet. Davon rund 30,2 Millionen zum Nulltarif, also ohne Bezahlung. Das geht aus dem „Arbeitszeit-Monitor“ hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erstellt hat. Allein in Berliner Hotels und Gaststätten leisteten Köche, Kellnerinnen, Barkeeper & Co. im Jahr 2024 rund 1,4 Millionen Überstunden. Das hat das Pestel-Institut auf Basis einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit ermittelt. Demnach waren 52 Prozent aller in Berlin geleisteten Überstunden in der Gastronomie und Hotellerie unbezahlt.
Gewerkschaft schlägt Alarm
Berlins Überstundenberg dürfte demnächst noch größer werden. Grund seien Pläne der Bundesregierung, die Arbeitszeit neu zu regeln: „Schwarz-Rot will eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und den 8-Stunden-Tag abschaffen. Betriebe könnten von ihren Beschäftigten dann verlangen, auch zehn, elf oder in der Spitze sogar 12 Stunden und 15 Minuten pro Tag zu arbeiten“, kritisiert Sebastian Riesner von der NGG Berlin-Brandenburg.
Schon jetzt betrage die maximale Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche. In der Spitze seien sogar 60-Stunden-Wochen möglich. „Doch noch schlimmer wird es, wenn die Bundesregierung jetzt tatsächlich ans Arbeitszeitgesetz Hand anlegt und den 8-Stunden-Tag kippt. Dann würde nämlich nur noch das europäische Recht ein Wochen-Limit für die Arbeitszeit setzen. Und das wäre brutal: Arbeitgeber könnten ihre Beschäftigten dann sogar zu 73,5-Stunden-Wochen verdonnern – nämlich zu sechs Tagen à 12 Stunden und 15 Minuten im Job. Das wäre fast das doppelte Wochen-Pensum von heute – und damit Arbeitszeit-Stretching pur“, so Riesner.
Zudem spricht Riesner von einem „Arbeitszeit-Monopoly“ der Bundesregierung: „Für Beschäftigte bedeutet das: Arbeiten bis ans Limit – und darüber hinaus“, so Riesner. Er hat dabei die Gesundheit der Beschäftigten im Blick, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Nach acht Stunden Arbeitszeit steigt die Gefahr von Arbeitsunfällen rasant an. XXL-Arbeitstage bedeuten auf Dauer eine Belastung für den Körper und für die Psyche: von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen bis zum Burnout“, so Riesner.
Falscher Kurs
Die geplante Aufweichung des 8-Stunden-Tages gehe in die falsche Richtung. „Längere Arbeitstage verschärfen die Probleme und verhindern eine gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Pflege“, warnt Sebastian Riesner. Anstatt das Fachkräftepotenzial von Frauen zu nutzen, verhinderten XXL-Schichten eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Riesner appelliert daher an die Berliner Bundestagsabgeordneten, dem „Herumschrauben am Arbeitszeitgesetz einen Riegel vorzuschieben“. Schon jetzt seien flexible Arbeitszeiten im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes und durch Tarifverträge, die die NGG abgeschlossen habe, für viele Beschäftigte Alltag. „Noch mehr Flexibilität ist gar nicht nötig“, so Riesner.
Außerdem ersetzten 10- oder 12-Stunden-Tage keine fehlenden Fachkräfte. „Gute Arbeitsbedingungen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, systematische Qualifizierung und mehr Ausbildung. Das sind die richtigen Hebel für mehr Fachkräfte. Verschiebereien bei der Arbeitszeit sind nichts anderes als das Löcherstopfen bei einer zu dünnen Personaldecke“, so Riesner. (red)