Künstliche Intelligenz im Mittelstand – Michael Theurer: „Einfach mal anfangen“
von Michael Theurer, MdB
Kürzlich stellte das Handelsblatt die Frage nach den Must-Win-Battles, damit Deutschland in dieser Dekade nicht an Wohlstand und Freiheit verliert. Die Antworten waren nicht als ewige Wahrheiten gedacht, sondern sollten zur Debatte anregen. So müsse Deutschland bei seiner Verteidigungsbereitschaft nachrüsten, eine Antwort auf die zunehmende Ablehnung unseres rechtstaatlichen Systems durch extremistische und populistische Kräfte in Deutschland und der Welt finden und dem sich zuspitzenden Fach- und Arbeitskräftemangel entgegenwirken.
Die Analyse des Handelsblatts hält uns einmal mehr vor Augen, dass wir in Zeiten großer Herausforderungen leben. Die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, der innere und äußere Druck auf unsere liberale Demokratie und die schleppende konjunkturelle Lage formen unseren politischen Handlungsrahmen. Hinzu kommt, dass wir das Land bei Regierungsantritt vor etwas mehr als zwei Jahren in keinem guten Zustand vorgefunden haben.
Vor großen Herausforderungen
Überall blicken wir auf Rückstände oder Baustellen; insbesondere im Bereich der Infrastruktur sind die Altlasten sichtbar. Das Schienennetz ist veraltet und teilweise marode. Für die Energiewende fehlen uns Leiter und Speicher, und in der Verwaltung hadert es immer noch an der Umsetzung vieler digitaler Dienstleistungen. Es zeigt sich überall im Land ein Sanierungs- und Modernisierungsstau, den die aktuelle Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen abarbeiten, während Krieg und Krise mitten in Europa weiter Einzug halten.
Umso wichtiger ist es, jetzt mit Innovation und Investitionen wieder Wachstumskräfte und Potenziale in unserem Land freizusetzen und erneut optimistisch in die Zukunft und ihre vielfältigen Möglichkeiten zu blicken. Dabei sollten wir uns auf den Innovationstreiber schlechthin fokussieren – die Digitalisierung. Inmitten der digitalen Transformation bringt allen voran die Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz (KI) eine neue ungeahnte Dynamik mit sich und kann fast in jedem Bereich das Leben des Einzelnen und das Zusammenleben in der Gesellschaft bereichern.
Mehr Effizienz durch KI
KI bietet uns eine historische Chance, Innovationen zu entfesseln und Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit zu finden. Nehmen wir etwa das Beispiel des Fachkräftemangels: Um den Bedarf an Arbeits- und Fachkräften zu decken, müssen wir einerseits gezielt qualifizierte Menschen aus aller Welt anwerben, hier haben die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen SPD, Grüne und FDP zuletzt mit der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und des Zuwanderungsrechts die richtigen Weichen gestellt, und andererseits die eigene Produktivität massiv steigern. Digitalisierung, Automatisierung und KI sind hierfür in fast allen Wirtschaftsbereichen der Schlüssel, um Prozesse zu optimieren, Effizienz zu steigern, Ressourcen einzusparen und Sicherheit zu verbessern. Beispielsweise werden heute noch 70.000-mal täglich in Deutschland Züge von Hand gekuppelt, eine schwere und gefährliche Arbeit bei Wind und Wetter, für die sich kaum noch Personal findet; dabei gäbe es mit der Digitalen Automatischen Kupplung eine Technik, die das überflüssig macht – wenn sie denn flächendeckend ausgerollt wird.
Digitalisierung der Logistik
Auch in der Logistikbranche stecken noch große Effizienzpotentiale. Schon jetzt können moderne Algorithmen Transportrouten von Schwerlasttransporten unter der Berücksichtigung von Wetterbedingungen und Straßenbauarbeiten in Sekundenschnelle planen und Genehmigungen für die Transporte erteilen. Dadurch lassen sich Lieferzeiten präzisieren und Kosten minimieren. Allerdings kommt diese intelligente Lösung bisweilen nicht umfassend zum Einsatz, denn alle Baulastträger müssten dazu ihre aktuellen Baustellen in ein bundesweites Geoinformationssystem hinterlegen. Dafür setzt sich das Bundesministerium für Digitales und Verkehr derzeit mit Nachdruck ein.
Je besser es uns gelingt, viele Daten zu sammeln und zur Verfügung zu stellen, desto erfolgreicher können wir unser Land als attraktiven Standort für Innovationen und Wettbewerb positionieren. Denn für KI-Anwendung brauchen wir vor allem eines: viele hochwertige Daten. Und wir besitzen diese Daten bereits aus allen Unternehmensbereichen, von der Produktion über Finanzen bis hin zum Personal. Jetzt geht es darum, diese Daten so aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen, dass KI die Probleme lösen kann, die für uns Menschen bisher mit großem Arbeitsaufwand verbunden sind.
Versuch macht klug
Dass kleine und mittelständische Unternehmen wachsendes Interesse daran haben, mit KI-Anwendungen ihre Arbeit zu optimieren, zeigt sich an der steigenden Nutzung: Inzwischen verwenden 15 Prozent der Unternehmen KI; 2022 waren es neun Prozent. Allerdings wissen sie nicht immer, wie sie Anwendungen für ihr Unternehmen richtig nutzen können. Ich glaube, Unternehmen müssen KI einfach mal ausprobieren. Unser Erfindergeist hat uns in Deutschland zudem gemacht, was wir heute sind. Wenn ich durch meine Heimat Baden-Württemberg fahre, findet sich an jeder Ecke ein Hidden Champion, der mit seiner Idee oder seinem Produkt ganze Branchen revolutioniert hat.
Diesen Erfindergeist gilt es auf digitale Lösungen und KI-Anwendungen zu übertragen. Hierfür müssen wir unser deutsches Mindset ändern. Statt direkt perfekte Lösung für Probleme zu präsentieren, muss das Credo lauten: einfach mal anfangen und testen. In der digitalen Transformation kommt es darauf an, mutig zu sein, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren und in die Zukunft zu investieren. Und damit die Mittelständler sich auch genau darauf konzentrieren können, müssen wir als Politik die richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen setzen und insbesondere bürokratische Fesseln lösen.
Verwaltung beschleunigen
Denn noch immer sehen Mittelständler vor allem in den Bereichen Bürokratie und Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung große Handlungsbedarfe. Deshalb knüpfen wir als Freie Demokraten in der Regierung an unsere Oppositionsarbeit der vergangenen Legislatur an: 2020 haben wir einen Antrag gestellt, um eine Strategie für die öffentliche Verwaltung zum Einsatz von KI zu erarbeiten. In der derzeitigen Regierungsverantwortung setzen wir nun alles daran, die Verwaltung und Behörden zu starken, digitalen und gleichzeitig effizienten Dienstleistern zu machen. Etwa durch Dienstleistungen wie die E-Kfz, mit der die Zulassung von Autos seit September letzten Jahres bequem und digital von zu Hause aus möglich ist. KI hat als Verwaltungsmanager das Potenzial, den Staat gerechter und effizienter zu gestalten. Verwaltungsanträge können vereinfacht werden, was wiederum zu einer enormen Beschleunigung der Abwicklung führt.
Allerdings ist der Bund bei der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung nicht alleiniger Akteur, sondern ist auf ein genauso starkes Engagement von Ländern und Kommunen angewiesen. Wir benötigen einen Schulterschluss aller staatlichen Ebenen, um unserer Wirtschaft, den zahlreichen Mittelständlern und den Bürgerinnen und Bürgern endlich ein modernes und digitales Verwaltungsangebot zu machen. Gleichzeitig wird staatliches Handeln nie die privatwirtschaftliche Initiative ersetzen können. Die Privatwirtschaft muss selbst aktiv sein, um digitale Lösungen für Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Denn Innovation und Erfindergeist lagen schon immer in den Händen der Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland.