
Haushalt mit Weitblick: Stefan Evers über Strukturreformen und Zukunftsinvestitionen
Ein Blick hinter die Kulissen der Berliner Haushaltspolitik
Beim VBKI Business Breakfast gab Berlins Finanzsenator Stefan Evers tiefe Einblicke in die aktuelle haushaltspolitische Lage der Hauptstadt. Vor Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung zeichnete der CDU-Politiker das Bild eines strukturellen Ausnahmezustands – nicht nur für Berlin, sondern für die kommunale Finanzarchitektur insgesamt.
Ein schleichender Schaden, kein plötzlicher Schock
„Was wir erleben, ist kein plötzlicher Schock, sondern die Spätfolge eines Allmählichkeitsschadens,“ so Evers. Die Haushaltsentwicklung der vergangenen Jahre zeige eine kontinuierliche Ausweitung der Ausgaben, insbesondere im Bereich der gesetzlich gebundenen Sozialleistungen. Dabei seien die Einnahmen des Landes Berlin stabil gewachsen. Das Grundproblem liege auf der Ausgabenseite: „Wir geben mehr aus, als wir uns strukturell leisten können.“

Pandemie und Krieg als Beschleuniger bestehender Schieflagen
Die Pandemie und der Ukraine-Krieg hätten diesen Prozess beschleunigt, aber nicht ausgelöst. Vielmehr offenbare sich nun die tieferliegende Schieflage eines Staatswesens, das über Jahrzehnte hinweg seine Investitions- und Instandhaltungspflichten vernachlässigt habe. Besonders deutlich werde dies beim Zustand öffentlicher Infrastruktur: „Gehen Sie mal durch unsere Universitäten, Polizeiwachen oder Verwaltungsgebäude. Da hat sich ein Investitionsstau aufgebaut, der sich nicht in einem einzigen Haushalt auflösen lässt.“
Kostenexplosion bei Sozialausgaben: Steuerung kaum noch möglich
Zentrale Herausforderung seien die stetig steigenden Fallkosten im Bereich der Sozialtransfers: „Die Zahl der Fälle steigt moderat, aber die Kosten pro Fall explodieren.“ Diese Entwicklung sei auf medizinischen Fortschritt, komplexere Hilfeangebote und eine wachsende Zahl individueller Leistungsansprüche zurückführbar. Berlin habe eine ressortübergreifende Taskforce eingesetzt, um die Steuerungsdefizite zu identifizieren. Doch viele Hebel lägen nicht in Landeshand: „Wir vollziehen Bundesrecht, haben aber kaum noch Einfluss auf die Ausgabenentwicklung.“

Kommunen am Limit: Historischer Höchststand bei Defiziten
Besonders drastisch fällt Evers’ Analyse der kommunalen Haushaltssituation aus. Die kommunalen Defizite in Deutschland seien 2024 auf 25 Milliarden Euro gestiegen – ein historischer Höchstwert. „Ich stehe nicht allein. Alle Kommunen in Deutschland stehen mit dem Rücken zur Wand,“ so Evers. Die Zustimmung der Länder zu steuerlichen Entlastungspaketen des Bundes sei deshalb nur gegen eine vollständige Kompensation der kommunalen Einnahmeverluste denkbar.
Mut zur Strukturreform statt Verwalten der Knappheit
Trotz des zunehmenden Drucks betonte der Finanzsenator, dass aus der Not auch Chancen erwachsen: „In der Knappheit liegt der Zwang zur Innovation.“ Strukturelle Reformen seien unausweichlich. Er forderte eine Debatte über die Rolle des Sozialstaats, die Begrenzung gesetzlicher Einzelansprüche und eine Entbürokratisierung auf allen Ebenen. Auch die hohen deutschen Standards bei Datenschutz, Umweltschutz oder Steuerrecht gehörten auf den Prüfstand: „Jeder Absatz dieser Gesetze ist gut gemeint. Aber wenn selbst Steuerberater das System nicht mehr verstehen, haben wir ein Problem.“
Infrastruktur: Sondervermögen als Signal, aber kein Allheilmittel
Mit Blick auf das neue Sondervermögen des Bundes für Infrastrukturinvestitionen zeigte sich Evers vorsichtig optimistisch: „Wir werden keine Wunder erleben, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ Er machte zugleich deutlich, dass finanzielle Sonderprogramme keine strukturellen Defizite kaschieren dürften: „Wir müssen aufhören, Probleme mit Geld zu lösen, das wir nicht haben.“

Der kommende Haushalt: Priorisierung als politische Kernaufgabe
Bis Juli soll der Berliner Haushaltsentwurf für die Jahre 2026 und 2027 stehen. Die Verteilungskonflikte seien immens. Dennoch will Evers die Finanzplanung als Chance begreifen: „Der Mut zur Priorisierung ist der erste Schritt zur Zukunftsgestaltung.“
Mit einem Augenzwinkern erzählte Evers aus der Anfangszeit seiner Amtsübernahme: Bei einem öffentlichen Auftritt sei ein junger Mann nach dem Podiumsgespräch auf ihn zugekommen und habe ihn gefragt, was er beruflich mache. Seine Antwort: „Ich arbeite mit schwererziehbaren Erwachsenen.“ Der Satz sorgte für Lacher – und traf zugleich einen wahren Kern.
Denn was Evers in seiner Rede mehrfach betonte: Es braucht nicht nur finanzielle Umschichtungen, sondern einen Mentalitätswandel in der öffentlichen Verwaltung. „Bequemlichkeit entsteht, wenn man stets mit Geld ausgleicht – das können wir uns nicht mehr leisten.“ Der Wandel hin zu effizientem, steuerbarem und verantwortlichem Regierungshandeln sei dringend notwendig – und tue Berlin gut. (eg/fs)