Groẞ-Berlin entsteht in der Kaiserzeit – räumlich, wirtschaftlich, sozial, aber (noch) nicht politisch
Von Harald Bodenschatz
„Berlin ist viele Städte“! Darauf sind die meisten Berliner stolz, nicht nur die Spandauer und Köpenicker. Die legendäre Vielfalt Berlins ist Ausdruck seiner besonderen Geschichte, Produkt einer Zeit, die nicht länger als etwa 150 Jahre zurückliegt.
In den 1860er Jahren begann eine stürmische Entwicklung, die Berlin aus einer bescheidenen preußischen Hauptstadt zu einer der größten Städte der Welt, zu einer „Weltstadt“ machte. Das, was wir heute unter Berlin verstehen, entstand erst in der Kaiserzeit. In diesen etwa 50 Jahren wurde die soziale und städtebauliche Geografie von Berlin geschaffen, die sich bis heute zwar weiter verändert hat, aber nicht mehr revolutioniert wurde. Das war eine Zeit ungezügelten Wachstums voller Härten, ohne Schutz der Mieter, mit vornehmen Villenvierteln im Südwesten und hoffnungslos überbelegten Wohnungen in den Arbeitervierteln im Norden und Südosten Berlins. Doch in kommunaler Hinsicht war das alles schon nicht mehr Berlin. Denn Berlin war damals noch klein, es hatte nur wenig mehr als die Größe der heutigen Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Das Wachstum vollzog sich vor allem um „Alt-Berlin“ herum, wo alte und neue Städte und Gemeinden, wie Rixdorf, Steglitz oder Weißensee, hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl explodierten.
Das Wachstum Berlins in der Kaiserzeit vollzog sich in einer höchst komplexen Konkurrenz mächtiger Akteure, vor allem der verschiedenen Städte und Gemeinden der Großstadtregion, aber auch der verschiedenen privaten Verkehrsunternehmen, der einflussreichen Terraingesellschaften und der Großbanken, die hinter den Terraingesellschaften und den privaten Verkehrsunternehmen standen. Diese Akteure gingen ständig wechselnde Koalitionen ein. In diesem Chaos entstanden die heftig kritisierten „Mietkasernen“, aber auch manche Bauten und Viertel, die bis heute sehr beliebt sind, etwa das Rheinische Viertel und Frohnau. Eine interkommunale Planung gab es dagegen nicht, mit Ausnahme des zu Unrecht später so geschmähten Hobrecht-Plans aus dem Jahr 1862, der am Anfang der Entwicklung stand und vor allem die unmittelbar an „Alt-Berlin“ angrenzenden Gebiete betraf.
Bereits in der Kaiserzeit gab es mehrere Initiativen, ein Groß-Berlin zu schaffen. Um 1906 startete die Vereinigung Berliner Architekten zusammen mit dem Architektenverein zu Berlin einen neuen Versuch, der durch einen Wettbewerb Groß-Berlin (1908-1910) begleitet wurde. Dieser hatte u.a. die Bildung des Zweckverbands Groß-Berlin zur Folge, der am 1. April 1912 in Kraft trat. In diesem Verband wurden die Städte Berlin, Charlottenburg, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf mit den Landkreisen Teltow und Niederbarn im zusammengelegt. Seine Aufgaben betrafen die Zusammenführung des Verkehrs, das Bebauungsplanwesen und die Schaffung von Freiflächen. Die Verdienste des Verbandes lagen insbesondere in der Sicherung von Grünflächen, die im Dauerwald-Vertrag vom 27. März 1915 ihren spektakulären Ausdruck fanden.