Berliner Gewerkschaften setzen Signal im Wohnungsmarkt
Beim Wort Gewerkschaften fallen einem bei ihren Hauptaufgaben unter anderem der Kampf um die Erhaltung von Arbeitsplätzen und Verhandlungen um Gehaltserhöhungen von Arbeitnehmer*innen verschiedener Branchen ein. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Gewerkschaften folgendermaßen: „Gewerkschaften (G) sind auf Dauer angelegte, staats-, partei- und gegnerunabhängige Vereinigungen von und für Arbeitnehmer/n, die auf freiwilliger Mitgliedschaft basieren.“
Nun unterstützen die beiden Landesverbände Verdi und IG Metall die Initiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen", laut eigenen Erklärungen. Damit erhält die Initiative eine große Unterstützung und Aufwind kurz vor dem Start der zweiten Stufe des Volksbegehrens am 26. Februar für die Enteignung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen. Mit der Zusage der Unterstützung weichen die Gewerkschaften von ihrem ursprünglichen Betätigungsfeld mit dem Einsatz für gute Arbeitsbedingungen sehr stark ab.
Doch warum tun das die Gewerkschaften?
Doch aus welchem Antrieb heraus engagieren sich die Berliner Landesverbände bei einer solchen Initiative? Die IG Metall veröffentlichte am Dienstag eine Pressmitteilung mit dem Titel „Wohnraumspekulation frisst Löhne auf“. Als Grund für die Beteiligung gibt die IG Metall in der Mitteilung an, dass sich viele Normalverdiener*innen, Familien, Studierende und Rentner*innen die steigenden Mieten nicht mehr leisten könnten und in ständiger Angst vor der nächsten Mieterhöhung leben würden. In der Pressemitteilung kommt auch Regina Katerndahl, zweite Bevollmächtigte der IG Metall in Berlin zu Wort: „Es ist ein Skandal, dass Immobilienkonzerne aus der Wohnraumnot Kapital schlagen und weite Teile der Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen.“ Zudem würden die Immobilienunternehmen „riesige Gewinne machen“.
Auch Verdi bringt dieselben Argumente wie die IG Metall für die eigene Beteiligung hervor. So bestätigte Gewerkschaftssekretärin Carla Dietrich der taz.: „Wenn man umziehen muss, fressen Mieterhöhungen die erkämpften Lohnerhöhungen komplett auf. Was wir in den vergangenen Jahren an Lohnerhöhungen erkämpft haben, wird von privaten Unternehmen direkt an Aktionäre weitergegeben.“ Das sei ein Grund, sich für die Rekommunalisierung einzusetzen. Beide Landesverbände riefen dazu auf, sich an der Initiative zu beteiligen.
Sinnvoller Einsatz oder Kompetenzüberschreitung?
Beide Gewerkschaften stehen für Werte wie Chancengleichheit, Freiheit, Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Solidarität. Das vertreten sie in ihren Verhandlungen mit Arbeitgebern und im Umgang mit ihren Mitgliedern. Doch wie lässt sich der Bogen schlagen von ihrem Einsatz für Arbeitnehmer*innen zu der Forderung ein Immobilienunternehmen enteignen zu wollen? Die vordergründigen Argumente sind Rekommunalisierung und Gerechtigkeit – die Initiative scheint gut ins eigene Portfolio zu passen.
Die Gewerkschaften setzen sich nicht nur für Gehälter und Löhne ein, sondern auch für die Wohnverhältnisse der Arbeitnehmer*innen. Das ist löblich, doch überschreitet das Engagement nicht ihre Kompetenzen? Für was setzen sie sich als nächstes ein? Kitaplätze und bedingungsloses Grundeinkommen für alle Arbeitnehmer*innen? Gute Schulbildung und Digitalisierung in allen Bildungseinrichtungen?
Die Gewerkschaften setzen durch ihre Unterstützung nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein politisches Zeichen. Hinzukommt: Es basiert auf extremen Forderungen einer Initiative, die die Verhältnisse in der sozialen Marktwirtschaft von freiem Wirtschaften zu erzwungenem Gemeingut verschieben möchte – und wirft viele Fragen auf. Was wird danach passieren, wenn Deutsche Wohnen und Co. erst einmal enteignet ist? Werden sich weitere Immobilienunternehmen gegen ein Mob von Rekommunalisierungsbefürworter*innen wehren müssen, um die eigenen Unternehmenswerte, ihre Immobilien, weiterhin behalten und verwalten zu dürfen? Wie weit kann und darf die Rekommunalisierung gehen und wo sind ihre Grenzen? Unternehmen soll ihr Eigentum genommen werden, weil die Berliner Politik in der Vergangenheit falsch gehandelt, bis heute die Wohnungspolitik verschlafen hat und jetzt kämpft überhaupt hinterher zu kommen?
Die Enteignung wäre eine schnelle Abkürzung für mehr gemeinwohlorientierten Wohnraum – doch wohl kaum eine gesellschaftlich verträgliche Lösung. Ideologische Vergleiche, die herangezogen wurden, sind einer Lösung ebenfalls nicht zuträglich. (kk)