
Kurt Weill in Venedig: „Der Protagonist“ als Seelenspiegel einer Epoche
Zum 125. Geburtstag des Komponisten erlebt ein selten gespieltes Meisterwerk eine glanzvolle Wiedergeburt
Es war ein Abend, der sich dem flüchtigen Zauber des Theaters mit seltener Konsequenz verschrieb: Am 2. Mai 2025 feierte Kurt Weills „Der Protagonist“ im Teatro La Fenice in Venedig eine umjubelte Premiere - ein musikalisch wie szenisch eindringliches Ereignis zum Auftakt des internationalen Weill-Jahres, das anlässlich des 125. Geburtstags des in Dessau geborenen Komponisten gefeiert wird. Dass diese nur selten aufgeführte Oper aus dem Jahr 1926 ausgerechnet in Venedig, der Stadt der Masken und Spiegelbilder, zur Reinszenierung kommt, mag als glückliche Fügung gelten. Tatsächlich aber wirkte der Abend wie präzise kuratiert: als Hommage an einen Komponisten, der das Musiktheater des 20. Jahrhunderts nicht nur revolutionierte, sondern ihm auch seine Ambivalenz und Tiefe zurückgab.

Ein Seelendrama mit szenischer Wucht
Die musikalische Leitung lag in den Händen von Markus Stenz, der das Orchester des Teatro La Fenice mit klarer Struktur und suggestiver Farbgebung durch die Partitur führte. Weills Musik, die zwischen expressionistischer Zerrissenheit und klanglicher Transparenz changiert, erhielt hier eine Deutung, die ihre innere Spannung nicht glättete, sondern bewusst zur Wirkung brachte.
Im Zentrum: der Titelheld, verkörpert von Matthias Koziorowski, dessen Darstellung von psychologischer Dichte geprägt war. Die Figur des Schauspielers, der in seiner Rolle zerbricht, wurde bei ihm zur Allegorie auf die brüchige Identität des modernen Menschen - ein Spiel im Spiel, das sich zunehmend in Wahnsinn und Isolation verliert. Koziorowski bewies dabei eine eindrucksvolle Mischung aus vokaler Kontrolle, physischer Präsenz und darstellerischer Intensität.

Martina Welschenbach: weibliche Klarheit im Zentrum der Düsternis
Einen Kontrapunkt setzte Martina Welschenbach als Schwester des Protagonisten – die einzige Frauenstimme in einem von Männerrollen dominierten Stück. Ihr Sopran, leuchtend, sicher geführt, durchdrang selbst in den dramatischsten Momenten die komplexe Orchestrierung. In der Darstellung verband sie emotionale Zartheit mit dramatischer Kraft. Ein seltener Balanceakt, der dem Stück eine unerwartete Dimension verlieh.
Entdeckung des Abends: Alexander Geller
Für Berliner Opernfreunde besonders bemerkenswert: Alexander Geller, der als Hausmeister des Herzogs nicht nur mit kristallklarer Diktion überzeugte, sondern mit einem Tenor von außerordentlicher Wärme und Tragfähigkeit das Publikum für sich gewann. Geller erwies sich als ein Sänger, der das Musiktheater nicht bloß bedient, sondern belebt. Seine Darstellung wirkte, bei aller Präzision, von innen her durchdrungen.

Zwischen Bühne und Spiegel
Die Inszenierung von Ezio Toffolutti tat das Ihre, um den doppelbödigen Charakter des Werkes offenzulegen: ein Bühnenbild von fragiler Monumentalität, das die Übergänge zwischen Komödie, Tragödie und Wahnsinn visuell markierte - und doch Raum ließ für Projektion und Irritation. Der Zuschauer sah sich nicht nur mit einer Geschichte konfrontiert, sondern mit deren Zerfall im Moment des Spiels.
Ein Auftakt mit Nachhall
Diese Premiere war mehr als nur eine Wiederbegegnung mit einem zu Unrecht selten gespielten Werk. Sie war ein kulturelles Ereignis, das das Jubiläumsjahr Kurt Weills mit einem Ausrufezeichen eröffnet. Künstlerisch durchdacht, musikalisch stringent und getragen von einer Ensembleleistung, die Maßstäbe setzt.
Venedig zeigte sich als würdiger Auftaktort. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Protagonist auch andere Bühnen findet - nicht als museales Requiem, sondern als lebendige Herausforderung. (fs)