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Die Welt in Berlin: Klein-Istanbul
Auf den meisten Berliner Märkten ist türkisches Essen nicht wegzudenken | visitBerlin, Foto Philip Koschel

Die Welt in Berlin: Klein-Istanbul

18. Januar 2024

von Buse Koca

In unserer neuen Rubrik „Die Welt in Berlin“ stellen wir Ihnen die verschiedenen Communities unserer Hauptstadt vor. Dieses Mal blicken wir auf die türkische Gemeinde. Im Fokus: Kreuzkölln. Die Bezirke Kreuzberg und Neukölln sind bekannt für ihre türkischen Einflüsse. Seien es Hamams, Moscheen, Restaurants, Cafés oder Supermärkte: Wer eine kleine Reise in die Türkei machen möchte, muss nicht den Flieger besteigen.

Die Geschichte der türkischen Gemeinde in Berlin reicht bis in die 1960er Jahre zurück. Damals kamen Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland, um in der boomenden Wirtschaft zu arbeiten. Sie waren vor allem in der Bau- und Textilindustrie tätig. Heute sind die Türken ein fester Bestandteil auch der Berliner Gesellschaft. Ende 2020 waren rund 107.000 türkische Staatsangehörige in der Hauptstadt registriert. Hinzu kommen weitere rund 100.000 Personen mit türkischem Migrationshintergrund. Damit stellen die Türken rund sechs Prozent der Bevölkerung, womit Berlin die Heimat der größten türkischen Community außerhalb der Türkei bildet. Die meisten Türken wohnen in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Allein in Kreuzberg, auch bekannt als Klein-Istanbul, leben rund 40.000 Türken, was etwa 20 Prozent der hier lebenden Bevölkerung entspricht. Es folgen Neukölln mit rund 30.000 und Wedding mit rund 20.000 türkischstämmigen EinwohnerInnen.

Die türkische Community in Berlin ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sie trägt auch maßgeblich zur kulturellen Vielfalt der Metropole bei. Besonders die Kieze in und um Kreuzkölln stechen dabei heraus. Hier finden sich zahlreiche Vereine, Moscheen, Kulturzentren, Freizeitstätten und Geschäfte.

Die bekannteste Moschee in Berlin ist die Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Neukölln. Die Gebetsstätte wurde im osmanischen Stil mit handgefertigten Kacheln und reichem Kalligraphieschmuck gebaut und steht unter Denkmalschutz. Eine weitere Besonderheit der Moschee: eine Grabanlage, die als einer der ältesten türkischen Friedhöfe Mitteleuropas gilt. Sie geht bis in das Jahr 1886 zurück, als der deutsche Kaiser Wilhelm I. das Gelände der türkischen Community übereignete.


Erfolg geht durch den Magen

Schätzungen zufolge existieren in Berlin über 9.000 kleine und mittelständische Betriebe türkischer Herkunft. Nicht zu unterschätzen ist dabei der kulinarische Einfluss aus der alten Heimat. Allen voran natürlich der Döner. Den ersten Dönerladen Deutschlands eröffnete 1972 der Gastarbeiter Kadir Nurman am Kurfürstendamm. Heutzutage finden sich pro 100.000 EinwohnerInnen 18 Dönerläden in Berlin – deutschlandweiter Rekord. Die bekanntesten und beliebtesten Läden dürften Kaplan Döner und die Schwesterkette Zaddy’s by Kaplan sein.

Neben dem Dönerriesen Kaplan gibt es zahlreiche weitere türkische Restaurant-Erfolgsgeschichten. In der Hasir-Kette werden traditionelle Gerichte serviert. Mit sechs Standorten in Berlin zählt sie zur Gastronomiespitzenklasse. Der größte Erfolgsschlager dürfte aber die WonderWaffel sein. Die Waffelkette hat ihren Ursprung in Berlin. Das Familienunternehmen unter der Leitung der Brüder Bahri und Ulvi Topcuoğlu eröffnete sein erstes Lokal 2012. Heute zählt der Konzern mehr als 40 Filialen in Deutschland, fünf in der Schweiz und zwei in den USA. Rund 500 MitarbeiterInnen bereiten täglich die unterschiedlichsten Waffelkreationen zu – und das zur Freude der zahlreichen Gäste, zu denen mit John Legend, Ilkay Gündoğan und Bushido auch die Prominenz gehört.

Mediale Präsenz

Türkische Medien haben seit langem ihren festen Platz in der Berliner Presselandschaft. Den Anfang machte die Zeitung Merhaba, die 1990 von Hüseyin Senol ins Leben gerufen wurde. Sie berichtet über aktuelle Geschehnisse in der Türkei und Deutschland, sowie über Themen, die speziell die türkische Community in Berlin betreffen, wie der interkulturelle Dialog, Integration und Rassismus. Merhaba bietet damit eine wichtige Plattform für die Meinungsbildung und den Austausch und trägt dazu bei, die türkische Gemeinschaft in Berlin sichtbarer zu machen. Die bekannteste türkische Persönlichkeit in der Berliner Medienlandschaft ist unterdessen Deniz Yücel. Der Journalist und Schriftsteller wurde in der Türkei wegen seiner regierungskritischen Berichterstattung politisch verfolgt und lebt seit seiner Freilassung aus türkischer Haft im Jahr 2018 in Berlin. Der 50-jährige ist einer der Vorkämpfer für die Freiheit der Meinungsäußerung in aller Welt.

Tradition und Moderne

Auch musikalisch finden sich prägende türkische Einflüsse in Berlin. Die deutsche Rapszene insgesamt wird stark von türkischen KünstlerInnen geprägt. Bekannte Gesichter sind Ufo361 und Ezhel. Die Texte des 32-jährigen Ezhels, bürgerlich Sercan İpekçioğlu, sind oft politisch und sozialkritisch und beschäftigen sich mit Themen wie Armut, Rassismus und Diskriminierung. Seine Musik genießt weltweit großen Erfolg. In der Türkei geboren und aufgewachsen, fand der Künstler 2019 in Berlin sein neues Zuhause. Sein Credo: „Berlin bedeutet für mich Freiheit“.

Traditionelle türkische Musik hat auch in Berlin ihre Liebhaber. Instrumente wie die Streichinstrumente Saz und Kemençe oder auch das Darbuka, eine einfellige Bechertrommel, sind besonders melodisch und kommen in vielen türkischen Liedern zum Einsatz. In Bars und Vereinen wie dem SO36 in Kreuzberg kann man die Instrumente bei Live-Konzerten hören. Wer lieber selbst mal ran möchte, kann sie spielen lernen. Zahlreiche türkische Kultureinrichtungen bieten Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene an.

Eine der größeren Kultureinrichtungen ist das Yunus Emre Enstitüsü. Seit 2015 organisiert der Verein im Herzen Berlins Projekte und Veranstaltungen zur Vermittlung der türkischen Sprache, Kultur, Kunst und Geschichte, ähnlich dem deutschen Goethe-Institut. Das Programmangebot umfasst Türkisch-Sprachkurse, Lesungen, Vorträge, Konzerte, Ausstellungen und Workshops. Weltweit gibt es über 50 der Yunus Emre Enstitüsü. Ein weiteres Kultur-Highlight für die türkische Community sind jährlich stattfindende Specials, wie die Türkische Filmwoche. Sie gilt als interkulturelles Event, welches die inhaltliche und ästhetische Vielfalt der türkischen Gesellschaft präsentiert und die politische Debatte zwischen Deutschland und der Türkei fördert.

Fazit: Die türkische Community in Berlin ist eine dynamische und lebendige Gemeinschaft – und somit ein wichtiger Teil der Stadtgesellschaft, der zur Vielfalt der Hauptstadt beiträgt.