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Weniger für die Tonne
„Die Wertschätzung unserer Lebensmittel zu stärken, gehört seit Jahren zu den Aufgaben unseres Ministeriums und ist uns ein großes Anliegen“, bekräftigt Staatssekretär Feiler | Foto: Designed by jcomp/Freepik

Weniger für die Tonne

14. Juli 2020

Im Gespräch mit Uwe Feiler, Parlamentarischer Staatssekretär für Ernährung und Landwirtschaft.

Corona hat auch den Ernährungsalltag der Deutschen verändert. Lebensmittel aus der Region sind stärker in den Fokus gerückt. Doch auch abseits von Covid-19 ist in den vergangenen Jahren ein Bewusstsein für Lebensmittel, ihre Herstellung und ihre Verschwendung entstanden. Es werden zunehmend mehr Bio-Lebensmittel gekauft. Vor allem bei Eiern und Milch achten Verbraucher darauf, ob die Produkte das Bio-Siegel tragen. Dennoch geben die Deutschen im europäischen Vergleich immer noch sehr wenig Geld für Lebensmittel aus. 2018 fielen gerade einmal 10,8 Prozent der Konsumausgaben auf Lebensmittel und Getränke. Die BERLINboxx sprach mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Uwe Feiler über Lebensmittelverschwendung, Landwirte in Deutschland, extreme Wetterlagen und die Digitalisierung der Landwirtschaft. In der aktuellen Corona-Krise ist auch die Lebensmittelversorgung in den Fokus gerückt.

Hat sich das Essverhalten in Deutschland auch schon vorher verändert? Findet aus Ihrer Sicht bereits ein generelles Umdenken in Bezug auf Lebensmittel statt?

Klar ist, und das haben wir als Bundesministerium in der Pandemie auch immer betont: Unsere Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in Deutschland ist sicher. Dank der Arbeit unserer Bauern! Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent zum Beispiel bei Kartoffeln, Käse und Frischmilchprodukten, Getreide oder Schweinefleisch. Was zu beobachten war, ist, dass einzelne Lebensmittelgruppen verstärkt nachgefragt wurden, wie beispielsweise Nudeln, Weizenmehle, Tiefkühlpizzen oder Konserven. Allein daraus lässt sich aber nicht auf eine allgemeine Änderung des Ernährungsverhaltens schließen. Ob eine solche während der Pandemie stattgefunden hat, dass werden Studien zeigen, die derzeit an unterschiedlichen Forschungseinrichtungen in Deutschland initiiert werden. Unabhängig von der Corona-Krise fragen wir die Essgewohnheiten der Deutschen jährlich in unserem Ernährungsreport ab, der auf einer repräsentativen Umfrage des Meinungsinstituts forsa fußt. Die aktuellen Ergebnisse dieser Befragung zeigen etwa, dass der Fleischkonsum im Land weiter leicht abnimmt. 26 Prozent gaben an, täglich Fleisch oder Wurst zu essen. 2015 waren es noch 34 Prozent. 55 Prozent bezeichnen sich als Flexitarier, also als Personen, die gelegentlich bewusst auf Fleisch verzichten.

Etwa 75 Kilogramm Lebensmittel werden pro Person und Jahr in den Privathaushalten in Deutschland weggeworfen – das sind insgesamt rund 6,1 Millionen Tonnen. Die andere Hälfte der rund 12 Millionen Tonnen kommen von Handel und Gastronomie. Oft landen noch brauchbare Lebensmittel im Müll. Wie schafft man es, hier eine Verhaltensänderung zu erreichen?

Die Wertschätzung unserer Lebensmittel zu stärken, gehört seit Jahren zu den Aufgaben unseres Ministeriums und ist uns ein großes Anliegen. Entscheidend ist dabei vor allem Aufklärungsarbeit. Denn Verhalten ändert sich nicht von heute auf morgen. Vielmehr muss das Problem langfristig angegangen und Bewusstsein geschaffen werden: In jedem Lebensmittel stecken wertvolle Ressourcen. Wer Lebensmittel wegwirft, verschwendet dabei beispielsweise auch viele Liter Wasser, die für die Produktion benötigt wurden. In unserem Essen steckt zudem auch die harte Erzeugerarbeit unserer Bauern. Und Sie sagen es, gerade auch in den privaten Haushalten wird viel weggeworfen. Hier setzen wir unter anderem mit unserer Kampagne „Zu gut für die Tonne“ an, informieren über Lebensmittel und geben Tipps, wie man sie am besten lagert. Und mit unserer ‚Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung‘ gehen wir das Problem entlang der gesamten Wertschöpfungskette an. Gemeinsam mit allen Sektoren haben wir uns erstmals auf konkrete Zielvorgaben zur Reduzierung geeinigt, die überprüfbar eingehalten werden müssen. Von den Landwirten, über die verarbeitenden Betriebe, den Groß- und Einzelhandel bis zur Gastronomie und den Privathaushalten: Für alle Sektoren entwickeln wir Maßnahmen, um das Problem effektiv anzugehen. Unser Ziel ist, die Lebensmittelverschwendung bis zum Jahr 2030 zu halbieren.

Gleichzeitig gehen Landwirte in den letzten Monaten vermehrt auf die Straße, um sich gegen das Verramschen ihrer Produkte zu wehren. Mit welchen Maßnahmen wollen sie die Bauern in ihrem Kampf mit den Handelsketten unterstützen?

Ganz klar: der Wettbewerb der Handelsketten darf nicht auf dem Rücken unserer Bauern ausgetragen werden. Das haben unsere Bundesministerin Julia Klöckner und die Bundeskanzlerin bei einem Treffen mit Vertretern des Handels im Bundeskanzleramt Anfang Februar deutlich gemacht. Es ist unanständig, Verbraucher mit Centpreisen für Nahrungsmittel in den Laden zu locken, die dann beim Waschpulver wieder aufgeschlagen werden. Gleichzeitig werden gesellschaftlich aber immer höhere Standards von den Landwirten eingefordert. Das geht nicht zusammen. Bauern müssen von ihrer Arbeit leben können, wenn wir weiter regionale Erzeugung wollen. Wie wichtig diese ist, zeigt nicht zuletzt die Corona-Pandemie. Um zu einer fairen Preisgestaltung und fairen Lieferbedingungen zu kommen, haben wir Maßnahmen ergriffen. So sind wir etwa dabei, zum Schutz der Landwirte die europäische UTP-Richtlinie umzusetzen. Mit dieser werden verschiedene Handelspraktiken verboten. Zum Beispiel, dass der Käufer Bestellungen von verderblichen Lebensmitteln nicht mehr kurzfristig stornieren darf. Auch wird sichergestellt, dass der Käufer von verderblichen Lebensmittel nicht später als 30 Tage nach Erhalt zahlt. Zudem werden wir eine Meldestelle für unlautere Handelspraktiken einrichten, an die sich Erzeuger wenden können.

Andere – dennoch akute – Probleme geraten derzeit ins Abseits. Die letzten Monate waren erneut extrem trocken, die Waldbrandgefahr steigt und auf den Feldern herrscht dürre. Wie kann sich die Landwirtschaft darauf einstellen? Wird sie sich langfristig durch den Klimawandel verändern?

Kaum eine Branche spürt die Folgen des Klimawandels so unmittelbar wie die Land- und Forstwirtschaft. Zu trockene oder zu nasse Jahrgänge bedeuten teils erhebliche Einbußen für die Betriebe. Die jetzige Situation auf den Feldern beobachten wir daher sehr intensiv. Was die Vorsorge angeht, so sind die Landwirte als Unternehmer zunächst in der Pflicht, selbst Risikomanagement gegen Wetterextreme zu betreiben, etwa durch Anpassung ihrer Wirtschaftsweisen. Durch geeignete Maßnahmen unterstützen wir sie aber dabei. So haben wir uns erfolgreich für eine Steuersenkung bei der Dürreversicherung eingesetzt. Der Steuersatz wurde hier von 19 auf 0,03 Prozent der Versicherungssumme gesenkt. Bei anderen Wetterrisiken – Hagel, Sturm, Starkregen oder Frost – war das bereits der Fall. Das erleichtert die eigenverantwortliche Vorsorge. Ebenso wurde auf unsere Initiative die Gewinnglättung durchgesetzt: Die Besteuerung der land- und forstwirtschaftlichen Einkünfte erfolgt damit auf der Grundlage des durchschnittlichen Gewinns aus einem Dreijahreszeitraum. So gleichen sich gute und schlechte Jahre aus und die nachteilige Wirkung der Progression wird bei schwankenden Gewinnen abgemildert. Auch das entlastet. Ebenfalls schwierig ist die Lage in den Wäldern. Dabei sind die Schäden aus den Vorjahren noch nicht beseitigt. Aktuell sehen wir bereits in bestimmten Regionen eine erhöhte Waldbrandgefahr und sogar schon erste Waldbrände. Auch die Sorge, dass die Neuanpflanzungen der vergangenen Jahre nicht erfolgreich gedeihen, treibt uns um. Wir alle wollen den Wald als wichtigen Kohlenstoff-Speicher aktiv schützen. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr ein 800-Millionen-Euro-Hilfsprogramm für den Wald aufgelegt, gemeinsam mit den Ländern. Dieses Geld für klimastabile Wieder-aufforstungen oder die Schadholzräumung kann von den Waldbesitzern seit Jahresbeginn abgerufen werden. Daneben haben wir zum Thema Klimawandel seit 2015 über verschiedene Förderprogramme 67 Forschungsprojekte mit einer Gesamtsumme von 54 Millionen Euro gefördert und finanziell unterstützt.

Auch in der Landwirtschaft schreitet die Digitalisierung voran. Woran wird gerade gearbeitet und sind solche Vorhaben auch für den kleinen Landwirtschaftsbetrieb umsetzbar?

Die Digitalisierung ist das große Zukunftsthema der Landwirtschaft – das Treiben wir zielgerichtet voran. Mit rund 60 Millionen Euro bis 2022. Durch den Einsatz moderner Technik können die Verwendung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln reduziert, das Tierwohl verbessert und die Arbeit unserer Landwirtinnen und Landwirte erleichtert werden. Das Spektrum der digitalen Anwendungen ist dabei riesig – und es wächst immer weiter: Das reicht vom Drohneneinsatz zum Ausbringen von Nützlingen oder zur Rettung von Rehkitzen über Fütterungs- und Reinigungsroboter in Ställen, bis hin zu satelliten-gesteuerten Traktoren auf dem Feld. Auf 14 digitalen Experimentierfeldern, die von unserem Ministerium mit 50 Millionen Euro unterstützt werden, werden solche Möglichkeiten – vom Weinbau bis zur Satellitennutzung – in der Praxis getestet. Digitalisierung ist dabei ein Gewinn für alle. Gerade Technologien wie Apps, Beratungsdienstleistungen, Hinweise zu Krankheitsbildern oder digitale Lösungen, die Preistransparenz und Marktzugang bieten, sind leicht und vergleichsweise kostengünstig zugänglich. Sie können den Alltag von Landwirten erheblich erleichtern – auch darum geht es. Die Digitalisierung kann gerade kleinen Höfen helfen, ihre Arbeit zu machen. (aw)